Samstag, 11. Februar 2012
Der Keim der (teutschen) Revolution
Elfter Februar

Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – aber es gibt Momente, da fühle ich mich der Revolution nahe. Der, die echt ist, die kommen muss und wird, an der ich teilhabe und mit deren Konsequenzen ich einverstanden bin. Es ist ein erhebendes Gefühl, wirklich! Ich erlebe meinen Verstand in diesen Momenten als hellsichtig wie selten, ich erkenne, wo die Säge klemmt, und finde meine geheimsten Annahmen bestätigt, und ich sehe auch den Ausweg, der mehr ist als das, nämlich: Der Weg in ein Morgen, das nicht nur das Heute irgendwie fortsetzt, sondern zeigt, dass es auch ganz anders geht…
Aha, sagen jetzt einige und nicken weise: Der Zirkustiger ist sicher bei einem Auftritt von Hagen Rether gewesen! Und sie haben Recht, zugegeben. Ja, da war ich gestern.
Nun habe ich gar keine Lust, hier über die Faszination eines reichlich dreistündigen Solo-Abends zu schwadronieren, und auch eine traditionelle Rezension soll es nicht werden. Ich will nur all jenen Enttäuschten, die das politische Kabarett bereits in den unheiligen Jagdgründen der Comedy verendet sehen, zurufen: Es gibt noch Hoffnung! Wir waren tausend Leute gestern Abend im halleschen Steintor-Varieté, das Lachen blieb uns oft genug im Halse stecken, und wenn Rether am Ende die standing ovations genutzt hätte, dem heiter-intellektuellen Volkszorn eine Richtung zu weisen, wären die Barrikaden bereits errichtet. So bin ich dann mit meiner Frau aufgekratzt ins eisfrei gekratzte Auto gestiegen, wir haben uns im Heim noch an Gesprächen und Kerzenschein erwärmt und sind zufrieden und einig wie selten eingeschlummert.
Heute früh dann die Ernüchterung: Die Medien berichten und kommentieren, dass es nun doch nichts werden könnte mit der Steuersenkung durch die schwarzgelbe Koalition. Der Schäuble stellt sich irgendwie quer, die 3-Prozent-Liberalen jaulen dazu, und die Merkel hält an ihrer „Im Prinzip ja, aber“-Taktik fest.
Hätte ich wenige Stunden zuvor nicht Hagen Rether erlebt, gingen derartige Meldungen durch mich hindurch, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. Nun aber, sensibilisiert durch den am Flügel (den er zuvor eine Stunde lang gewienert hat!) vor sich hin präludierenden Ruhrpott-Feingeist, darf mich das nicht kalt lassen. Zumal auch meine dänischen Freunde längst nicht mehr grinsen über diese deutsch-arrogante Widersprüchlichkeit. Wollt ihr nun besser ausgestattete Schulen und Kindergärten? fragen sie mich. Seid ihr mit euren Altenheimen etwa zufrieden? Meckert ihr nicht ständig über Schlaglöcher, Baustellen, Umleitungen? Sagt ihr nicht, wer in Bildung investiert, investiert in die Zukunft? Und wie sie mit ihren Alten umgeht, zeige den kulturellen Status einer Gesellschaft?!?
Ich nicke hilflos – ja, und?
Wie arrogant seid ihr eigentlich, da Steuerentlastungen zu erwarten? Wir (sagen die Dänen) zahlen schon lange 25 % Mehrwertsteuer (die deutschen Urlauber bringen sich ja ihr Bier deshalb auch selbst mit – schön blöd, nicht wahr). Aber dafür sind unsere Straßen in Ordnung, die Kommunen solide, die Schulen offen, hell und freundlich, die Kultur hat Heimstätten, und die Alten sind uns nicht vom Tisch gefallen. Sicher, auch bei uns (sagen die Dänen) gibt es Dreck unterm Teppich und hinter den Kulissen. Ein bisschen davon hat die letzte Folketing-Wahl ja getilgt. Aber zu erwarten, dass es allen durch weniger Steuern besser gehen könne, darauf könnten nur die Deutschen kommen.
Sagen meine dänischen Freunde.
Und Hagen Rether – mit seinen Worten – irgendwie auch.

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