Sonntag, 26. Februar 2012
Margots späte Rache
26. Februar

Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich befürchte inzwischen eine Wiederauferstehung des sattsam bekannten Ungeistes der sozialistischen DDR-Schule! Ja, ja, doch, doch! Und: Nein, keineswegs im Geheimen, sondern gefordert und gefördert von Verwaltungen, Institutionen und sogar Ministerien! Ob man nun die Volksbildungs-Mafia dahinter vermutet, ewig gestrige Hortnerinnen im Vorruhestand, die ihr ehrenamtliches Engagement dahingehend missbrauchen, sich erneut wendende Wendehälse oder Jungfunktionäre, die auf geheimnisvolle Weise mit alten Ideologien indoktriniert werden konnten, sei dahingestellt. Fakt ist jedenfalls: Die DDR-Volksbildhauerei feiert fröhliche Urstände, und das unter unser aller Augen. Ein Skandal, nicht wahr?!
Ich sei nun aber den Nachweis für meine Behauptungen schuldig, sagt ihr? Nun gut. Ich will mich da auch kurz fassen. Zum einen wird also plötzlich mal wieder über längeres gemeinsames Lernen geredet. Mit umständlich demografischen Begründungen werden Gemeinschaftsschulen aus dem Hut gezaubert und mit ebenso innovativen wie überraschenden Konzepten einer Ganztagsschule verquickt. Entstehen sollen daraus pädagogische Anstalten, die auch am Nachmittag was zu bieten haben (Arbeitsgemeinschaften, Zirkel, Projekte auf kulturellem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet) und die nicht schon die konkurrierenden Zehnjährigen in Gymnasiasten, Real- und Hauptschüler trennen. Skandalös, findet ihr nicht? Da muss doch einer den bösen Wolf (sprich: die Polytechnische Oberschule nach DDR-Prägung mit Schulhort und umfangreichen Nachmittagsangeboten) einfach in einen neuen Schafspelz gekleidet und so fast unkenntlich ins öffentliche Bewusstsein geschmuggelt haben. Ich weiß auch, welche Verfremdungen dazu führen, dass der Wachhund unserer politischen Aufmerksamkeit nicht gleich angeschlagen hat – genau: Die Verfechter dieser ungeheuer neuen Schulkonzepte verzichten auf Fahnenappelle, FDJ-Nachmittage und Bilder von Frau Merkel im Speiseraum. Aber wie lange noch? Wehret den Anfängen, sage ich nur!
Und weiter: Die Kultusministerien in Sachsen und Sachsen-Anhalt haben sich soeben auf einen gemeinsamen Modellversuch verständigt. Es geht – man höre und staune – um die „Berufsausbildung mit Abitur“. Das stellt doch die Margot H. glatt auf den Sockel! Immerhin ist diese Erfindung vor langer Zeit in der DDR getätigt worden (als Wiederentdeckung reformpädagogischer Ideen eines praxisbezogenen Unterrichts übrigens). Nun wird also mal gründlich erprobt, ob das funktioniert und welche Wirkungen es auf die Probanden hat. Den Schulforschern seien bereits jetzt einige bedenkliche Beispiele für Spätfolgen einer derartigen BAmA aufgezeigt: Der hallesche Lyriker Wilhelm Bartsch (geb. 1950), zweifellos eine der bedeutendsten literarischen Stimmen dieser Generation, hat dereinst die Berufsausbildung zum Rinderzüchter mit dem Abitur verbunden dürfen. Genauso wie André Schinkel, Vertreter der nächsten Generation und ebenfalls bereits mit zahlreichen Literaturpreisen geadelt. Offensichtlich hat die frühe Begegnung mit diversen Hornochsen und Rindviechern äußerst förderliche Effekte auf das ästhetische Empfinden und die künstlerische Kreativität. Liebe Kultusministerien, jetzt verstehe ich auch den Hintergrund des Modellversuchs: Deutschland soll so wieder zum Land der Dichter und Denker werden! Welch verteufelt schlauer Gedanke, Hut ab!
Und zu guter Letzt noch der entlarvende Hinweis, dass in Halle-Neustadt an einem Schulhort (der sich an den Ideen des französischen Reformpädagogen Celestin Freinet – bekanntermaßen überzeugter Verfechter einer sozialistischen Demokratie – orientiert!) die Zehn-, Zwölfjährigen ein Buchprojekt auf der Freinet‘schen Druckerpresse realisiert haben, das den Titel „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht…“ trägt. Ist das nicht der Gipfel? Haben diese Sprösslinge des 21. Jahrhunderts etwa dazu auch jenes Lied gelernt, das ich vor einem halben Jahrhundert trällerte, während mir Mutti, bevor sie früh zur Arbeit ging, das blaue Halstuch ordentlich verknotete?
Wie gesagt – bleibt wachsam! Die Zeichen mehren sich, dass die Prinzen recht haben könnten: „Es war nicht alles schlecht…“!

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