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Samstag, 31. März 2012
Erst denken, dann handeln
zirkustiger, 16:50h
31. März
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich hoffe jedenfalls, dass den Piraten angesichts ihrer kruden Ideen von der großen Freiheit des Internet manchmal selbst mulmig wird. Zumindest jetzt nach den Aufrufen zum Lynchmord und der auf Facebook lauthals geforderten Todesstrafe für den irrtümlich als Tatverdächtigen im Mordfall der 11-jährigen Lena inhaftierten 17-jährigen Berufsschülers in Emden sollten auch Einäugige mit Enterhaken erkennen, dass eine maßvolle Regulation des Mediums unumgänglich ist. Sicher, die vorschnelle Präsentation des Jugendlichen durch eine offensichtlich mit ihrem „Fahndungserfolg“ selbstzufriedene Polizei ist nicht weniger problematisch, zeigt aber auch, wie groß der Druck auf die Ermittler angesichts dieser furchtbaren, unbegreiflichen Tat ist. Dann allerdings gewannen die Dinge eine Eigendynamik, die ebenso ungeheuerlich ist, und angesichts der scheinbaren Anonymität, die das Internet gewährt, werden Äußerungen laut, die nunmehr ein juristisches Nachspiel verlangen. Und zwar eins mit sichtbaren und schmerzhaften Konsequenzen.
Vielleicht aber führt dieser aufschreckende Fall (und das wäre in meinen Augen sein Gutes, wenn man davon hier überhaupt sprechen kann) zu einer kritischen Neubewertung jener Forderungen, die das Internet frei von jeglicher Kontrolle sehen wollen (was es de facto und dank Google & Co. ja längst nicht mehr ist) und die Meinung vertreten, in einem für alle offenen System regele sich alles schon irgendwie von selbst. Dann bräuchte der 17-Jährige jetzt keinen Polizeischutz. Ich will keineswegs einer staatlichen Zensur Vorschub leisten, doch ebenso wie andere Medien ihre insgesamt recht wirksamen Methoden einer freiwilligen Selbstkontrolle und – im Bedarfsfall – auch der Sanktionen gefunden haben, ist dies für das Internet dringend geboten. Dass wir es hier mit einer anderen medialen Qualität als bei Presse, Hörfunk, Film oder Fernsehen zu tun haben, muss mir niemand erklären. Dass man davor aber hilflos kapitulieren sollte, bitte auch nicht!
Hinzu kommt im konkreten Fall, dass Kindesmissbrauch seit Jahren ein beliebtes Argumentations- und Tummelfeld für Rechtsextremisten geworden ist: Unter dem Deckmantel von „Sauberkeit und Ordnung“ werden immer wieder Aktionen und Demos angemeldet, bei denen relativ schnell ein von der angeblich so reinen Volksseele angeköchelter Nationalismus finsterster Prägung zu Tage tritt. Dies hätten die Verantwortlichen der Polizei in Emden unbedingt bedenken müssen, bevor eilig ein Erfolg vermeldet und personell festgemacht wird, der sich rasch als Schlag ins Wasser herausgestellt. Und als Schlag ins Gesicht jener, die vom Tod des Mädchens wirklich betroffen sind und die ganz gewiss nicht wollen, dass braun- oder schwarzbeflaggte Trittbrettfahrer aus diesem traumatisierenden Umstand Kapital schlagen.
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich hoffe jedenfalls, dass den Piraten angesichts ihrer kruden Ideen von der großen Freiheit des Internet manchmal selbst mulmig wird. Zumindest jetzt nach den Aufrufen zum Lynchmord und der auf Facebook lauthals geforderten Todesstrafe für den irrtümlich als Tatverdächtigen im Mordfall der 11-jährigen Lena inhaftierten 17-jährigen Berufsschülers in Emden sollten auch Einäugige mit Enterhaken erkennen, dass eine maßvolle Regulation des Mediums unumgänglich ist. Sicher, die vorschnelle Präsentation des Jugendlichen durch eine offensichtlich mit ihrem „Fahndungserfolg“ selbstzufriedene Polizei ist nicht weniger problematisch, zeigt aber auch, wie groß der Druck auf die Ermittler angesichts dieser furchtbaren, unbegreiflichen Tat ist. Dann allerdings gewannen die Dinge eine Eigendynamik, die ebenso ungeheuerlich ist, und angesichts der scheinbaren Anonymität, die das Internet gewährt, werden Äußerungen laut, die nunmehr ein juristisches Nachspiel verlangen. Und zwar eins mit sichtbaren und schmerzhaften Konsequenzen.
Vielleicht aber führt dieser aufschreckende Fall (und das wäre in meinen Augen sein Gutes, wenn man davon hier überhaupt sprechen kann) zu einer kritischen Neubewertung jener Forderungen, die das Internet frei von jeglicher Kontrolle sehen wollen (was es de facto und dank Google & Co. ja längst nicht mehr ist) und die Meinung vertreten, in einem für alle offenen System regele sich alles schon irgendwie von selbst. Dann bräuchte der 17-Jährige jetzt keinen Polizeischutz. Ich will keineswegs einer staatlichen Zensur Vorschub leisten, doch ebenso wie andere Medien ihre insgesamt recht wirksamen Methoden einer freiwilligen Selbstkontrolle und – im Bedarfsfall – auch der Sanktionen gefunden haben, ist dies für das Internet dringend geboten. Dass wir es hier mit einer anderen medialen Qualität als bei Presse, Hörfunk, Film oder Fernsehen zu tun haben, muss mir niemand erklären. Dass man davor aber hilflos kapitulieren sollte, bitte auch nicht!
Hinzu kommt im konkreten Fall, dass Kindesmissbrauch seit Jahren ein beliebtes Argumentations- und Tummelfeld für Rechtsextremisten geworden ist: Unter dem Deckmantel von „Sauberkeit und Ordnung“ werden immer wieder Aktionen und Demos angemeldet, bei denen relativ schnell ein von der angeblich so reinen Volksseele angeköchelter Nationalismus finsterster Prägung zu Tage tritt. Dies hätten die Verantwortlichen der Polizei in Emden unbedingt bedenken müssen, bevor eilig ein Erfolg vermeldet und personell festgemacht wird, der sich rasch als Schlag ins Wasser herausgestellt. Und als Schlag ins Gesicht jener, die vom Tod des Mädchens wirklich betroffen sind und die ganz gewiss nicht wollen, dass braun- oder schwarzbeflaggte Trittbrettfahrer aus diesem traumatisierenden Umstand Kapital schlagen.
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Was uns behindert
zirkustiger, 13:38h
30. März
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – auch mir liegt das Wohl von Kindern und Jugendlichen mit Handicap durchaus am Herzen. Sie sollten die bestmöglichen, konkret auf ihre jeweiligen körperlichen oder auch geistigen Defizite ausgerichteten pädagogischen Förderangebote erhalten, dargeboten von entsprechend ausgebildetem und motiviertem Fachpersonal in einem dafür optimal ausgestatteten Umfeld. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sagt ihr? Na ja, ganz so einfach ist es nicht, denn dafür käme noch ein Erfordernis hinzu, das ich als die „Kultur des gesellschaftlichen Umgangs mit gehandicapten Menschen“ bezeichnen möchte. Klingt ein bisschen umständlich, zugegeben, meint aber nichts anderes als die grundsätzliche Art und Weise, wie Behinderungen und Behinderte in einer Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert werden.
Bei den edlen Rothäuten (so viel Karl-May-Reminiszenz seit in dieser Zeit gestattet) wurden gerade geistig Behinderte als etwas Besonderes und Behütenswertes von der Gemeinschaft getragen, heißt es. Das kann ich nicht beurteilen, aber wie es zum Beispiel in Skandinavien läuft, das schon: Beim Bildungssystem des PISA-Klassenbesten Finnland verblüfft es ja viele, dass dort Sonder-, Förder-, Hilfs- oder wie auch immer benannten Extra-Schulen für gehandicapte Kinder und Jugendliche schlichtweg fehlen. Nicht, dass es in Finnland keine Hör- oder Sehgeschädigten gäbe und der IQ aller stets über der ominösen 70 (oder 80) läge, nein, das sicher nicht, aber es gibt dort eine lange Tradition der unmittelbaren und sozusagen organischen Einbeziehung dieser Menschen in den Alltag der finnischen Gesellschaft. Und die Lehrerbildung des kleinen Landes berücksichtigt die zweifellos vorhandenen Besonderheiten des Umgangs mit ihnen von vornherein und vermittelt in Studium und Weiterbildung allen Pädagogen die erforderlichen Kompetenzen (müßig zu erwähnen, dass man in Finnland eine Eignungsprüfung und ein Vorpraktikum absolvieren muss, wenn man Lehrer werden will, denn das Pädagogikstudium ist dort nicht – wie hierzulande oft genug – das Auffangbecken für jene, die nicht wissen, was sie sonst machen sollen, sondern Ausdruck eines echten Wunsches, vielleicht sogar einer „inneren Berufung“). Zudem sind die Schulen entsprechend vorbereitet, also mit den für bestimmte Behinderungen erforderlichen Technologien ausgestattet, mit geeigneten Räumen und zusätzlichem pädagogischem Personal. Und all die tollen Begriffe von „Integration“ oder „Inklusion“, die unser Bildungswesen braucht, um gehandicapte Schülerinnen und Schüler in die Regelschulen zu bringen, sind dort überflüssig, wo eine Gesellschaft in ihrer grundsätzlichen Verfasstheit bereits integrativ funktioniert. Das also meine ich mit der Art und Weise, wie Behinderung wahrgenommen wird – eine Frage der gesellschaftlichen Kultur.
Die OECD fordert nun auch vom deutschen Bildungssystem diese Inklusion. Scheinbar sehr human und fortschrittlich, nicht wahr. Aber wie sieht die Realität aus? Quasi über Nacht sitzen nun plötzlich in den „normalen“ Grund- und Sekundarschulklassen Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Handicaps vor überforderten Lehrkräften, die darauf nicht ansatzweise vorbereitet sind. Es fehlen technische Lese- und Hörhilfen; Klassengröße und Raumsituation können nicht befriedigen, die Umgangsformen unter den Gleichaltrigen sind - da nicht geübt - oft genug problematisch, Eltern nicht behinderter Kinder laufen Sturm gegen diese formal herbeigeführten Maßnahmen, und der unterstützende Einsatz der bisherigen Förderschul-Lehrkräfte funktioniert bestenfalls auf dem Papier. Kein Wunder, dass der Unmut wächst. Erziehungswissenschaftler prophezeien inzwischen, dass die Anzahl der Schulversager in Sachsen-Anhalt unter diesen unausgegorenen Rahmenbedingungen deutlich ansteigen werde (sie ist ohnehin der traurige Spitzenwert bundesweit). Das Kultusministerium beeilt sich zu versichern, dass es das keineswegs glaube – es klingt wie das Pfeifen im Walde. Denn den Personalmangel kann man auch in Magdeburg nicht leugnen. Und das Problem des gerechten und angemessenen Umgangs mit förderbedürftigen jungen Menschen ist nicht am grünen Tisch zu lösen. Dazu bedürfte es im engeren Sinne deutlicher Bewegungen in der Lehrerbildung, der Schulausstattung, der transparenten Kommunikation in Bildungsfragen – im weiteren Sinne jedoch einer grundsätzlich veränderten gesellschaftlichen Kultur. Und ich gestehe, dass mir bei diesem Thema jegliche humoristische Pointe fehlt, denn – Leute – es geht hier um die Kinder!
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – auch mir liegt das Wohl von Kindern und Jugendlichen mit Handicap durchaus am Herzen. Sie sollten die bestmöglichen, konkret auf ihre jeweiligen körperlichen oder auch geistigen Defizite ausgerichteten pädagogischen Förderangebote erhalten, dargeboten von entsprechend ausgebildetem und motiviertem Fachpersonal in einem dafür optimal ausgestatteten Umfeld. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sagt ihr? Na ja, ganz so einfach ist es nicht, denn dafür käme noch ein Erfordernis hinzu, das ich als die „Kultur des gesellschaftlichen Umgangs mit gehandicapten Menschen“ bezeichnen möchte. Klingt ein bisschen umständlich, zugegeben, meint aber nichts anderes als die grundsätzliche Art und Weise, wie Behinderungen und Behinderte in einer Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert werden.
Bei den edlen Rothäuten (so viel Karl-May-Reminiszenz seit in dieser Zeit gestattet) wurden gerade geistig Behinderte als etwas Besonderes und Behütenswertes von der Gemeinschaft getragen, heißt es. Das kann ich nicht beurteilen, aber wie es zum Beispiel in Skandinavien läuft, das schon: Beim Bildungssystem des PISA-Klassenbesten Finnland verblüfft es ja viele, dass dort Sonder-, Förder-, Hilfs- oder wie auch immer benannten Extra-Schulen für gehandicapte Kinder und Jugendliche schlichtweg fehlen. Nicht, dass es in Finnland keine Hör- oder Sehgeschädigten gäbe und der IQ aller stets über der ominösen 70 (oder 80) läge, nein, das sicher nicht, aber es gibt dort eine lange Tradition der unmittelbaren und sozusagen organischen Einbeziehung dieser Menschen in den Alltag der finnischen Gesellschaft. Und die Lehrerbildung des kleinen Landes berücksichtigt die zweifellos vorhandenen Besonderheiten des Umgangs mit ihnen von vornherein und vermittelt in Studium und Weiterbildung allen Pädagogen die erforderlichen Kompetenzen (müßig zu erwähnen, dass man in Finnland eine Eignungsprüfung und ein Vorpraktikum absolvieren muss, wenn man Lehrer werden will, denn das Pädagogikstudium ist dort nicht – wie hierzulande oft genug – das Auffangbecken für jene, die nicht wissen, was sie sonst machen sollen, sondern Ausdruck eines echten Wunsches, vielleicht sogar einer „inneren Berufung“). Zudem sind die Schulen entsprechend vorbereitet, also mit den für bestimmte Behinderungen erforderlichen Technologien ausgestattet, mit geeigneten Räumen und zusätzlichem pädagogischem Personal. Und all die tollen Begriffe von „Integration“ oder „Inklusion“, die unser Bildungswesen braucht, um gehandicapte Schülerinnen und Schüler in die Regelschulen zu bringen, sind dort überflüssig, wo eine Gesellschaft in ihrer grundsätzlichen Verfasstheit bereits integrativ funktioniert. Das also meine ich mit der Art und Weise, wie Behinderung wahrgenommen wird – eine Frage der gesellschaftlichen Kultur.
Die OECD fordert nun auch vom deutschen Bildungssystem diese Inklusion. Scheinbar sehr human und fortschrittlich, nicht wahr. Aber wie sieht die Realität aus? Quasi über Nacht sitzen nun plötzlich in den „normalen“ Grund- und Sekundarschulklassen Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Handicaps vor überforderten Lehrkräften, die darauf nicht ansatzweise vorbereitet sind. Es fehlen technische Lese- und Hörhilfen; Klassengröße und Raumsituation können nicht befriedigen, die Umgangsformen unter den Gleichaltrigen sind - da nicht geübt - oft genug problematisch, Eltern nicht behinderter Kinder laufen Sturm gegen diese formal herbeigeführten Maßnahmen, und der unterstützende Einsatz der bisherigen Förderschul-Lehrkräfte funktioniert bestenfalls auf dem Papier. Kein Wunder, dass der Unmut wächst. Erziehungswissenschaftler prophezeien inzwischen, dass die Anzahl der Schulversager in Sachsen-Anhalt unter diesen unausgegorenen Rahmenbedingungen deutlich ansteigen werde (sie ist ohnehin der traurige Spitzenwert bundesweit). Das Kultusministerium beeilt sich zu versichern, dass es das keineswegs glaube – es klingt wie das Pfeifen im Walde. Denn den Personalmangel kann man auch in Magdeburg nicht leugnen. Und das Problem des gerechten und angemessenen Umgangs mit förderbedürftigen jungen Menschen ist nicht am grünen Tisch zu lösen. Dazu bedürfte es im engeren Sinne deutlicher Bewegungen in der Lehrerbildung, der Schulausstattung, der transparenten Kommunikation in Bildungsfragen – im weiteren Sinne jedoch einer grundsätzlich veränderten gesellschaftlichen Kultur. Und ich gestehe, dass mir bei diesem Thema jegliche humoristische Pointe fehlt, denn – Leute – es geht hier um die Kinder!
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