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Samstag, 29. Juni 2013
Renft: Die Dekonstruktion einer Legende
zirkustiger, 15:41h
Ich bin kein gläubiger Mensch, zumindest nicht im religiösen Sinne. Doch gewisse Weisheiten aus dem biblischen Kontext haben ihre Berechtigung. Ein Jegliches habe seine Zeit, heißt es im Buch der Bücher (Prediger 3,1). Der Sinnspruch werde – weiß mein Zitatenlexikon – gern „bei Beerdigungen als tröstende Lesung genutzt“. Und obwohl es fast einer Beerdigung gleichkommt, tröstet mich das in diesem Falle nicht wirklich…
Ich war nämlich gestern beim Konzert einer Legende. Einer Ost-Legende, die vielen meiner Generationsgefährten (der heute um die 60-Jährigen) was bedeutet: Die Renft-Combo. Eingeladen war ins hallesche CAPITOL, das über einen großen und einen kleinen Konzertsaal verfügt. Schon als ich am großen Saal vorbei die Treppe zum kleinen Saal erklimmen musste, schwante mir nichts Gutes. Aber ein Konzerterlebnis wertet man ja nicht an der Quantität der Besucher. Hinterher wusste ich, dass all jene, die nicht dabei waren, es richtig gemacht haben. Sie haben aber auch etwas verpasst: Die Selbst-Dekonstruktion einer Legende…
Dass nur noch Thomas „Monster“ Schoppe dabei ist von jener legendären Combo, die 1975 von der Staatsmacht verboten wurde und quasi über Nacht aus den DDR-Beatlexika sowie den Playlists der DDR-Radiostationen verschwand, ist bekannt. Dass zahlreiche Schicksalsschläge hinzukommen, weiß der Eingeweihte auch: der Tod von Pjotr, von Pannach, von Cäsar und Jenny, ja letztlich auch der von Kutte Demmler, der Verlust des Gehörs bei Kuno, die endlosen Streitigkeiten der Vergangenheit, ob man nun am umjubelten Revival-Status der Nachwendezeit festhalten solle oder Neues wagen wolle und und und. Nunmehr also hält Monster nebst Pitti, Delle und Marcus allein noch die Renft-Fahne hoch: Ermutigung – trotz alledem! Doch tun sie sich damit einen Gefallen? Und uns? Oder gar der Erinnerung an Renft, an das, was die Jungs vor 40 Jahren geleistet haben in einem Land, dessen Lebensgefühl sie seinerzeit wohl mehr unbewusst erfassten und im alternativen Entwurf zu den FDJ-gehätschelten Puhdys an uns Jeans- und Parka-Träger weitergaben? Seit ich Renft 1973 in Weimar erstmals gehört hatte, wusste ich zumindest, was ich nicht wollte. Ein bisschen was von den Stones hatten sie, wenn ihr wisst, was ich meine.
Okay, alte Geschichten. Zurück zu gestern. Ein halb gefüllter kleiner Saal also, von der Vorband bereits ohrenbetäubend zugedröhnt. Dann kommen sie endlich, man rückt erwartungsvoll näher: Ein kleiner Kreis alter Freunde, die bedingungslos akzeptieren, was Monster & Co. abliefern werden, und ein kaum größerer Kreis an etwas ferneren Bekannten (wie ich), die überprüfen wollen, was noch stimmt vom alten Gefühl in mehrfach gewendeten Zeiten. Los geht’s mit „Wandersmann“, dann „Flüsse und Tränen“, von Monster als „Umweltsong“ angekündigt. Die Textbilder – einstmals nötig, um an der Zensur vorbei die Gleichgesinnten zu erreichen – wirken heute umständlich, aufgesetzt, irgendwie pseudo. Musikalisch kann man eigentlich nicht meckern, eigentlich: Jeder beherrscht sein Instrument. Aber wird daraus wirklich Musik in jenem filigranen, abwechslungsreichen Sinne, für den ich Renft einst geliebt habe? Monsters Stimme ist schon nach drei Titeln am Ende. Die 40 Jahre alten Stücke wurden seinerzeit für eine Stimmlage geschrieben, die nun, „da die Eier im Sack ein ganzes Stück tiefer hängen“ (O-Ton Kuno schon vor Jahren), unerreichbar ist. Zumal die Renft-Songs eben auch von der Unterschiedlichkeit der Solostimmen (Cäsar, Kuno und Monster) lebten. Nun will Monsters gequältes Organ das allein schaffen? Keine Chance. Auch Pittis Gitarre passt stilistisch irgendwie nicht rein. Dass er ein guter Gitarrist ist, weiß er. Ich weiß das auch. Dennoch vermisse ich den warmen, mitunter fast wehmütigen Ton von Cäsars Saitenspiel. Und die transparente Farbe der Akustikgitarre – seinerzeit meisterhaft von Kuno gespielt und von Monster ergänzt – bleibt komplett außen vor. Von Orgel und Piano ganz zu schweigen. „Wer die Rose ehrt“ kommt tatsächlich als Zugabe – ohne Orgel?! Delle Kriese und Marcus Schloussen machen ihre Rhythmus-/Bass-Arbeit grundsolide. Eigentlich reicht das ja aus, wenn sich darüber was entfaltet. Aber das passiert nicht. Monster tut mir zunehmend leid. Bei „Mama“ kräht er nur noch. Beim „Gänselieschen“ singt zum Glück das Publikum brav mit: „Unsre EllPehGeh hat hundert Gänse und ein Gänselieschen, das ist meins…“. Auch für mich ist das ein Abend zwischen Liebe und Zorn:„Revolution ist das Morgen schon im Heute / ist kein Bett und kein Thron für den Arsch zufriedner Leute…“; ja ja, das war seinerzeit sehr provokativ. Wir wussten, da waren die Funktionärchen gemeint, die sich ihre Privilegien gesichert hatten und darauf warteten, dass uns der Sozialismus vom Himmel falle. Heute klingt das merkwürdig fremd und fern. Vielleicht liegt es auch daran, dass Menschen unter 50 an diesem Abend im Publikum fehlen. Renft haben es nie geschafft, nach der Wende eine Brücke zu bauen von jenen Fans der ersten Stunde hin zu nachwachsenden Rohstoffen, also will sagen: zu nachwachsenden Generationen. Und weil die Alten nach und nach abtreten, läuft nun alles auf die biologische Lösung hinaus. Das ist bitter. „Freunde geht, das Fest ist aus, bleibt zusammen...“ heisert mir Monster noch nach, als ich schon die Flucht zum Ausgang antrete. Merkt er wenigstens, dass dieser Kreis immer kleiner wird? Und dass es höchste Zeit wäre, die Stimme an den Nagel zu hängen? Wie gesagt: Jegliches hat seine Zeit. Die von Renft als zeitgemäßes Live-Ereignis ist definitiv vorbei.
P.S. Monster hatte gestern auch Geburtstag, wirklich. Die Rotweinflaschen häuften sich auf der Bühne. Die alle in Ruhe auszutrinken wäre doch auch eine schöne Lebensaufgabe, wenn anderes vorüber ist…
Ich war nämlich gestern beim Konzert einer Legende. Einer Ost-Legende, die vielen meiner Generationsgefährten (der heute um die 60-Jährigen) was bedeutet: Die Renft-Combo. Eingeladen war ins hallesche CAPITOL, das über einen großen und einen kleinen Konzertsaal verfügt. Schon als ich am großen Saal vorbei die Treppe zum kleinen Saal erklimmen musste, schwante mir nichts Gutes. Aber ein Konzerterlebnis wertet man ja nicht an der Quantität der Besucher. Hinterher wusste ich, dass all jene, die nicht dabei waren, es richtig gemacht haben. Sie haben aber auch etwas verpasst: Die Selbst-Dekonstruktion einer Legende…
Dass nur noch Thomas „Monster“ Schoppe dabei ist von jener legendären Combo, die 1975 von der Staatsmacht verboten wurde und quasi über Nacht aus den DDR-Beatlexika sowie den Playlists der DDR-Radiostationen verschwand, ist bekannt. Dass zahlreiche Schicksalsschläge hinzukommen, weiß der Eingeweihte auch: der Tod von Pjotr, von Pannach, von Cäsar und Jenny, ja letztlich auch der von Kutte Demmler, der Verlust des Gehörs bei Kuno, die endlosen Streitigkeiten der Vergangenheit, ob man nun am umjubelten Revival-Status der Nachwendezeit festhalten solle oder Neues wagen wolle und und und. Nunmehr also hält Monster nebst Pitti, Delle und Marcus allein noch die Renft-Fahne hoch: Ermutigung – trotz alledem! Doch tun sie sich damit einen Gefallen? Und uns? Oder gar der Erinnerung an Renft, an das, was die Jungs vor 40 Jahren geleistet haben in einem Land, dessen Lebensgefühl sie seinerzeit wohl mehr unbewusst erfassten und im alternativen Entwurf zu den FDJ-gehätschelten Puhdys an uns Jeans- und Parka-Träger weitergaben? Seit ich Renft 1973 in Weimar erstmals gehört hatte, wusste ich zumindest, was ich nicht wollte. Ein bisschen was von den Stones hatten sie, wenn ihr wisst, was ich meine.
Okay, alte Geschichten. Zurück zu gestern. Ein halb gefüllter kleiner Saal also, von der Vorband bereits ohrenbetäubend zugedröhnt. Dann kommen sie endlich, man rückt erwartungsvoll näher: Ein kleiner Kreis alter Freunde, die bedingungslos akzeptieren, was Monster & Co. abliefern werden, und ein kaum größerer Kreis an etwas ferneren Bekannten (wie ich), die überprüfen wollen, was noch stimmt vom alten Gefühl in mehrfach gewendeten Zeiten. Los geht’s mit „Wandersmann“, dann „Flüsse und Tränen“, von Monster als „Umweltsong“ angekündigt. Die Textbilder – einstmals nötig, um an der Zensur vorbei die Gleichgesinnten zu erreichen – wirken heute umständlich, aufgesetzt, irgendwie pseudo. Musikalisch kann man eigentlich nicht meckern, eigentlich: Jeder beherrscht sein Instrument. Aber wird daraus wirklich Musik in jenem filigranen, abwechslungsreichen Sinne, für den ich Renft einst geliebt habe? Monsters Stimme ist schon nach drei Titeln am Ende. Die 40 Jahre alten Stücke wurden seinerzeit für eine Stimmlage geschrieben, die nun, „da die Eier im Sack ein ganzes Stück tiefer hängen“ (O-Ton Kuno schon vor Jahren), unerreichbar ist. Zumal die Renft-Songs eben auch von der Unterschiedlichkeit der Solostimmen (Cäsar, Kuno und Monster) lebten. Nun will Monsters gequältes Organ das allein schaffen? Keine Chance. Auch Pittis Gitarre passt stilistisch irgendwie nicht rein. Dass er ein guter Gitarrist ist, weiß er. Ich weiß das auch. Dennoch vermisse ich den warmen, mitunter fast wehmütigen Ton von Cäsars Saitenspiel. Und die transparente Farbe der Akustikgitarre – seinerzeit meisterhaft von Kuno gespielt und von Monster ergänzt – bleibt komplett außen vor. Von Orgel und Piano ganz zu schweigen. „Wer die Rose ehrt“ kommt tatsächlich als Zugabe – ohne Orgel?! Delle Kriese und Marcus Schloussen machen ihre Rhythmus-/Bass-Arbeit grundsolide. Eigentlich reicht das ja aus, wenn sich darüber was entfaltet. Aber das passiert nicht. Monster tut mir zunehmend leid. Bei „Mama“ kräht er nur noch. Beim „Gänselieschen“ singt zum Glück das Publikum brav mit: „Unsre EllPehGeh hat hundert Gänse und ein Gänselieschen, das ist meins…“. Auch für mich ist das ein Abend zwischen Liebe und Zorn:„Revolution ist das Morgen schon im Heute / ist kein Bett und kein Thron für den Arsch zufriedner Leute…“; ja ja, das war seinerzeit sehr provokativ. Wir wussten, da waren die Funktionärchen gemeint, die sich ihre Privilegien gesichert hatten und darauf warteten, dass uns der Sozialismus vom Himmel falle. Heute klingt das merkwürdig fremd und fern. Vielleicht liegt es auch daran, dass Menschen unter 50 an diesem Abend im Publikum fehlen. Renft haben es nie geschafft, nach der Wende eine Brücke zu bauen von jenen Fans der ersten Stunde hin zu nachwachsenden Rohstoffen, also will sagen: zu nachwachsenden Generationen. Und weil die Alten nach und nach abtreten, läuft nun alles auf die biologische Lösung hinaus. Das ist bitter. „Freunde geht, das Fest ist aus, bleibt zusammen...“ heisert mir Monster noch nach, als ich schon die Flucht zum Ausgang antrete. Merkt er wenigstens, dass dieser Kreis immer kleiner wird? Und dass es höchste Zeit wäre, die Stimme an den Nagel zu hängen? Wie gesagt: Jegliches hat seine Zeit. Die von Renft als zeitgemäßes Live-Ereignis ist definitiv vorbei.
P.S. Monster hatte gestern auch Geburtstag, wirklich. Die Rotweinflaschen häuften sich auf der Bühne. Die alle in Ruhe auszutrinken wäre doch auch eine schöne Lebensaufgabe, wenn anderes vorüber ist…
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