Donnerstag, 5. Januar 2012
Schlangenfütterung
Fünfter Januar

Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – aber mitunter ist man überrascht, wie sich die Dinge erklären lassen. Mitarbeiter der Arbeitsagenturen, -ämter, ARGEn, JobCenter und wie diese Institutionen nunmehr alle heißen, arbeiten antizyklisch. Das habe ich heute gelernt. Ein Freund, der beim hiesigen Amt in der Personalabteilung sitzt, erzählte es mir heute. Derzeit muss er nämlich mit seinen eigenen Leuten über Stellenabbau reden. Wenn es der Wirtschaft gut geht, müssen wir abbauen, sagte er traurig. Das sei nicht einfach, gerade wenn man die Betroffenen schon länger kennt. Aber viele hätten ohnehin nur befristete Verträge, die nun nicht verlängert würden. Aber bitter sei das auch für die, keine Frage. Viele bekämen das Angebot, in anderen Regionen tätig zu werden. Es gibt offenbar tatsächlich noch Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit als der Raum Halle. Berlin-Marzahn zum Beispiel. Ist das aber tröstlich…
Diese reziproken Reaktionen freuen mich heimlich. Sie bestätigen das Bild, das ich irgendwie schon immer vom Kapitalismus hatte. Das haben wir schließlich mal in der Schule gelernt, und so vergällt einem seinerzeit die ach-so-klugen Sprüche waren, so sehr verblüfft mich heute ihre augenscheinliche Wahrheit (deren Kriterium gemäß unserer Klassiker bekanntlich die Praxis ist). Und die Praxis sieht beispielsweise so aus: Wenn ein börsennotiertes Unternehmen Personalstellen in Größenordnungen abbaut, steigt sein Aktienwert sprunghaft an. Das sind also die kausal wirkenden Stellschrauben: Hier runter, da rauf! So simpel ist das. Und wenn also die Arbeitslosigkeit relativ niedrig ist (scheinbar zumindest, denn man übersieht gern jene Millionen, die von ihren Beschäftigungsverhältnissen nicht leben können ohne weitere Stütze des Sozialstaates), generieren die weniger gewordenen Arbeitslosen auch einen geringeren Betreuungsaufwand. Also werden Jobvermittler und Arbeitsberater mangels Auslastung eingespart. Damit mutieren sie (zumindest jene, die nicht von Halle nach Berlin-Marzahn fahren wollen) halt selbst wieder zu Arbeitssuchenden. Aber sie kennen sich ja gut aus und wissen, bei welchen ihrer noch tätigen Kolleginnen und Kollegen auf den langen Fluren sie anklopfen müssen. Ob das gefühlsmäßig hilft, sei dahingestellt. Insgesamt aber scheint damit die Arbeitsvermittlung ein sozioökonomisches Perpetuum mobile zu sein, das sich letztlich selbst genügt: Indem es eigene Mitarbeiter entlässt, die dann draußen stehen und darauf warten, durch die Restbesatzung wieder irgendwo reinvermittelt zu werden, kann es gar kein Ende geben…
Ich empfehle jedenfalls der Agentur für Arbeit, ernsthaft den Börsengang zu erwägen. Derzeit stiege der Wert ihrer Aktien beträchtlich. Vorsicht allerdings: Wer selbst die Schlangen vor der eigenen Tür füttert, könnte sich eines Tages auch in ihrem Würgegriff wiederfinden.

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