Donnerstag, 19. Januar 2012
Freud lässt grüßen
Siebzehnter Januar

Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich hab immer noch meine Probleme mit diversen Formen des so genannten E-Learning. In einem bestimmten Umfeld – etwa der beruflichen Weiterbildung oder auch bei Schülern, die länger erkrankt sind – mögen derartige Angebote (zumeist als Ergänzung anderer Lernformen) ja ihre Berechtigung haben. Und Studenten bewegen sich auch schon ganz gern auf den Lernplattformen der Unis und Hochschulen (die Begeisterung der Hochschullehrerinnen und -lehrer ist übrigens nach meiner Beobachtung weitaus geringer), die allerdings eher Materialsammel- und -verteilstellen sind als wirkliche Orte des Lernens.
Suspekt sind mir aber vor allem die Versuche, diese Lernformen in der allgemeinbildenden Schule zu etablieren, verbunden mit euphorischen Heilsversprechungen (auch in Richtung der Lehrerschaft, für die dann alles leichter und besser würde). Ich vermute (bin ich zu argwöhnisch?) dahinter zunächst mal wirtschaftliche Interessen: SMART will Whiteboards vertickern, APPLE seine iPads und INTEL seine Prozessoren. Gut, die sollen ja auch leben, aber dabei bitte schön nicht so tun, als hinge das Heil der Pädagogik von ihren Segnungen ab. Jetzt geht ja der angebissene Apfel gerade in den USA in die Offensive: Man werde digitalisierte Schulbücher kostenfrei auf den eigenen Geräten (sprich: im geschlossenen Apple-Universum) anbieten und damit das gute alte Schulbuch zur Makulatur freigeben. Schon jubeln Gesundheitsexperten, wie leicht dann die Schultaschen werden, und die Kinder könnten sich dann noch ein paar Muffins und Burger mehr hineinstecken, um über die Runden zu kommen. Na ja, gut, nicht alles, was die Amis machen bzw. zulassen, machen wir unbesehen nach – die Zeiten sind zum Glück vorbei. Dennoch gibt es auch hierzulande naive und unbewiesene Vorstellungen, digitale Lernplattformen (allen voran die Open-Source-Allzweckwaffe „moodle“) könnten den Lernerfolg steigern und die Lehrkräfte dazu bringen, sich ihr Lehrmaterial in Kursen und Modulen selbst zu kreieren… Und diese Lernmodule und Moodlekurse – so die hochgesteckten Erwartungen – könnten dann unter den Lehrern verschiedener Schulen ausgetauscht werden, sodass in Bälde ein gewaltiger Pool an multimedialen Unterrichtseinheiten zum fröhlichen Tausch- und Nachnutzgeschäft bereitstünde… Hat das schon mal jemand ausprobiert? Ein Aufwand ohnegleichen; ich weiß, wovon ich rede. Und die Adaptierbarkeit durch andere Kolleginnen und Kollegen hält sich in engen Grenzen, das garantiere ich. Von den zahlreichen Urheberrechtsfragen mal ganz abgesehen, deren Verletzung bei unbedarftem Draufloswursteln droht (darauf spezialisierte Anwaltskanzleien dürften sich bereits heimlich die Hände reiben).
Ich habe jüngst an einer Arbeitstagung innerhalb eines derartigen Modellversuchs teilgenommen. Ich habe dabei vieles gezeigt bekommen, was durchaus hübsch anzusehen war. Allerdings hatte ich an keiner Stelle die erhellende Erkenntnis, den jeweiligen Stoff nicht auch auf die ach so verpönte traditionelle Weise vermitteln zu können (wer mit „traditionell“ immer gleich „veraltet“ meint, der sollte mal echte pädagogische Traditionen suchen – in der Reformpädagogik zum Beispiel von Freinet bis Reichwein, von Dewey bis Neill – und diese daraufhin abklopfen, was sie unserer heutigen Schule an zeitgemäßen Impulsen zu geben vermögen!).
Natürlich – die teilnehmenden Lehrer waren stolz auf das, was sie geleistet haben. Und das ist ja auch ihr gutes Recht. Der Aufwand dafür aber ist sehr hoch, wie alle zugaben. Unverhältnismäßig hoch – nach meiner unmaßgeblichen Meinung. Und eine Lehrerin brachte es in ihrem Vortrag ungewollt auf den Punkt, als sie im Brustton der Überzeugung verkündete: „Sicher kann man nicht jeden Lehrer damit begeistern, aber es gibt bereits ganz viele Kollegen, die dem E-Learning ganz aufgeschlossen entgegen stehen…“!
Diese Aufgeschlossenheit lob ich mir – und grüße Freud ganz herzlich zurück.

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