Sonntag, 5. Februar 2012
Vermutungen über den Konjunktiv
zirkustiger, 13:39h
Dritter Februar
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich reagiere zunehmend gereizt auf Nachrichtensendungen im TV, die als Youtube-Video-Show ablaufen. Und das nicht nur auf den privaten Kanälen, keineswegs: Da machen auch Tageschau und HEUTE kräftig mit. Verwackelte Handy-Sequenzen, rennende Menschen, verschwommene Fahrzeuge, Nacht zumeist, blutroter Feuerschein allgegenwärtig, geschüttelte Fäuste, und beim Näherkommen wackelt sich die Perspektive in einen dunklen Nachthimmel hinauf oder verharrt für nullkommazwei Sekunden auf einer woraus auch immer bestehenden Pfütze auf dem Straßenpflaster. Dazu verschwurbelt sich der Kommentarton in Konjunktiv-Konstruktionen, was wir da gegebenenfalls gesehen haben könnten. Der Reporter vor Ort wird zugeschaltet und kann weder bestätigen noch dementieren. Aber die Videos sind nun mal da, sollen von Augenzeugenschaft künden und der Welt zeigen, was wirklich los ist in Amman und Kairo, in Teheran, Sanaa oder Homs. Damit mich niemand falsch versteht: Ich empfinde tiefe Abscheu gegenüber dem, was die dortigen Regierungen ihrem Volk antun, und ich bin überzeugt, dass ein Großteil der behaupteten Gräuel auch stimmt. Doch ebenso (und dafür mehren sich die Belege aus jüngster Zeit) häufen sich sowohl die unabsichtlichen Fehlinterpretationen als auch die absichtsvollen Fakes in der Freiheit des Internet, in der die Glaubwürdigkeit von Quellen und die Seriosität von Informationen zu einem immer größeren Problem werden. Solange der Kommentar derartiger Wackelbilder (auf die ich gern verzichten würde) sprachlich im Konjunktiv bleibt, wähnt man sich als Journalist auf der sicheren Seite und hofft auf jene viel beschworene Medienkompetenz der Zuschauer, die nicht jedes Bild für bare Realität nehmen. Doch wenn sich Stimmen mehren, die genau diesem Journalismus zunehmend seine Berechtigung absprechen und ihn durch Youtube und Twitter längst abgelöst wähnen, dann sehe ich das Ende des Konjunktivs gekommen.
Apropos: Nicht immer ist ja Konjunktiv gleich Konjunktiv: Während diverse Tageszeitungen kürzlich über eine weitere Festnahme im Umfeld der Zwickauer Terrorzelle von einem „mutmaßlichen Unterstützer“ schrieben, titelte BILD, ein „angeblicher Helfer“ sei da verhaftet worden. Ich hoffe nur, dass die sprachliche Sensibilität der geschätzten Leserschaft noch ausreicht, die Temperaturunterschiede zwischen „mutmaßlich“ und „angeblich“ zu erspüren…
Ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht – ich reagiere zunehmend gereizt auf Nachrichtensendungen im TV, die als Youtube-Video-Show ablaufen. Und das nicht nur auf den privaten Kanälen, keineswegs: Da machen auch Tageschau und HEUTE kräftig mit. Verwackelte Handy-Sequenzen, rennende Menschen, verschwommene Fahrzeuge, Nacht zumeist, blutroter Feuerschein allgegenwärtig, geschüttelte Fäuste, und beim Näherkommen wackelt sich die Perspektive in einen dunklen Nachthimmel hinauf oder verharrt für nullkommazwei Sekunden auf einer woraus auch immer bestehenden Pfütze auf dem Straßenpflaster. Dazu verschwurbelt sich der Kommentarton in Konjunktiv-Konstruktionen, was wir da gegebenenfalls gesehen haben könnten. Der Reporter vor Ort wird zugeschaltet und kann weder bestätigen noch dementieren. Aber die Videos sind nun mal da, sollen von Augenzeugenschaft künden und der Welt zeigen, was wirklich los ist in Amman und Kairo, in Teheran, Sanaa oder Homs. Damit mich niemand falsch versteht: Ich empfinde tiefe Abscheu gegenüber dem, was die dortigen Regierungen ihrem Volk antun, und ich bin überzeugt, dass ein Großteil der behaupteten Gräuel auch stimmt. Doch ebenso (und dafür mehren sich die Belege aus jüngster Zeit) häufen sich sowohl die unabsichtlichen Fehlinterpretationen als auch die absichtsvollen Fakes in der Freiheit des Internet, in der die Glaubwürdigkeit von Quellen und die Seriosität von Informationen zu einem immer größeren Problem werden. Solange der Kommentar derartiger Wackelbilder (auf die ich gern verzichten würde) sprachlich im Konjunktiv bleibt, wähnt man sich als Journalist auf der sicheren Seite und hofft auf jene viel beschworene Medienkompetenz der Zuschauer, die nicht jedes Bild für bare Realität nehmen. Doch wenn sich Stimmen mehren, die genau diesem Journalismus zunehmend seine Berechtigung absprechen und ihn durch Youtube und Twitter längst abgelöst wähnen, dann sehe ich das Ende des Konjunktivs gekommen.
Apropos: Nicht immer ist ja Konjunktiv gleich Konjunktiv: Während diverse Tageszeitungen kürzlich über eine weitere Festnahme im Umfeld der Zwickauer Terrorzelle von einem „mutmaßlichen Unterstützer“ schrieben, titelte BILD, ein „angeblicher Helfer“ sei da verhaftet worden. Ich hoffe nur, dass die sprachliche Sensibilität der geschätzten Leserschaft noch ausreicht, die Temperaturunterschiede zwischen „mutmaßlich“ und „angeblich“ zu erspüren…
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