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Sonntag, 21. Juni 2020
Über Gott, den Tod und das Leben
zirkustiger, 11:25h
Sommeranfang. Von nun an gehe es bergab, war ein Satz, den mein Großvater jeweils am Morgen des 21. Juni zu sagen pflegte, nachdem er – passionierter Gärtner – seine Runde durch die Beete, Rabatten und Hecken absolviert hatte. Wie alt war ich damals, fünf, sechs, sieben? Spätestens da sah ich vor mir die vielgestaltige, geheimnisvolle und verlockende Landschaft der ewig langen Sommerferien – ein Bergab war nicht zu erkennen, nicht vor Mitte August jedenfalls. Dennoch erzeugte der großväterliche Spruch ein mulmiges Gefühl.
Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Mein Vater, Naturwissenschaftler, war stets zu Erklärungen bereit. Mit seiner starken Stabtaschenlampe und dem drehbaren Globus zeigte er mir in der abgedunkelten Speisekammer, wie die Ekliptik der Erdrotation die Jahreszeiten erzeugt. Warum tut die Erde das, fragte das Kind in mir, das gern den ewigen Sommer gehabt hätte. Vater wies auf die nun dunkleren Teile des Globus. Die Kinder dort lieben auch den Sommer, sagte er, der idealistische und sozialistische Internationalist, schlicht und ich begriff es als Akt gelebter Solidarität, die Kinder in Feuerland, Kapstadt oder auf Neuseeland nicht der Dunkelheit zu überlassen. Und doch erwarte ich den 21. Juni seither in jedem Jahr mit einem leisen Schauer, einem geheimen Grauen, der Erd- und Himmelsmechanik so ohnmächtig ausgeliefert zu sein: Von nun an geht’s bergab. Ende Dezember wechselt das natürlich. Aber als Mittsechziger ist auch das eine andere Gefühlslage als jene, in der man sich als Teenager angesichts der natürlichen Allgewalt befand.
Vor nunmehr 22 Jahren wurde der 21. Juni zudem emotional aufgeladen: Gerhard Gundermann war gestorben, 43jährig an einem Hirnschlag, nachts in seinem Bett. Der Verlust schmerzte schon seinerzeit, ist mir aber mit den Jahren noch bewusster geworden – das Verstummen einer Liederstimme der nicht nur ostdeutschen, sondern humanistischen Identität. Verstummen? Mitnichten! Es macht Hoffnung, dass auch heutzutage junge, neugierige und kritische Menschen an Gundi und seinen Liedgedanken kaum vorbeikommen. Zumindest bleiben sie nicht kalt, wenn sie darauf stoßen. Oder gestoßen werden. Und dass Andreas Dresen diesem Dichtersänger der großen Utopien und kleinen Hoffnungen mit seinem Spielfilm kein überhöhtes Denkmal gesetzt hat, sondern ihn vielmehr lebendig zwischen uns stellt und dadurch wirksam macht, ist ein kleines Wunder in unserer häufig doch so frustrierenden Medienwelt. Und an diesem Tag denke ich seither auch und besonders an Conny, an Gundis Frau, die ungern seine Witwe genannt werden möchte und die gar nicht einsam sein kann mit all dem, was Gundi ihr und uns hinterlassen hat. Aber allein ist sie manchmal doch, da bin ich sicher.
Und nun, seit sieben Jahren, kann ich an diesem 21. Juni auch feiern: Den Geburtstag meines jüngsten Enkels. Dem erzähle ich nun – als Großvater – auch von der Ekliptik, hüte mich aber vor der Prognose, von nun an gehe es bergab, denn der Sommer liegt ja vor uns, und singe ihm ein paar Lieder vor, eigene und auch ein paar von Gundermann. Und ich denke an Gundis Satz, den er sagte, als die Zeit auf seinem Bagger zu Ende ging und Neuorientierungen anstanden: Wenn Gott eine Tür zuschlägt, macht er irgendwo eine andere auf. Am 21. Juni ist das offensichtlich so…
Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Mein Vater, Naturwissenschaftler, war stets zu Erklärungen bereit. Mit seiner starken Stabtaschenlampe und dem drehbaren Globus zeigte er mir in der abgedunkelten Speisekammer, wie die Ekliptik der Erdrotation die Jahreszeiten erzeugt. Warum tut die Erde das, fragte das Kind in mir, das gern den ewigen Sommer gehabt hätte. Vater wies auf die nun dunkleren Teile des Globus. Die Kinder dort lieben auch den Sommer, sagte er, der idealistische und sozialistische Internationalist, schlicht und ich begriff es als Akt gelebter Solidarität, die Kinder in Feuerland, Kapstadt oder auf Neuseeland nicht der Dunkelheit zu überlassen. Und doch erwarte ich den 21. Juni seither in jedem Jahr mit einem leisen Schauer, einem geheimen Grauen, der Erd- und Himmelsmechanik so ohnmächtig ausgeliefert zu sein: Von nun an geht’s bergab. Ende Dezember wechselt das natürlich. Aber als Mittsechziger ist auch das eine andere Gefühlslage als jene, in der man sich als Teenager angesichts der natürlichen Allgewalt befand.
Vor nunmehr 22 Jahren wurde der 21. Juni zudem emotional aufgeladen: Gerhard Gundermann war gestorben, 43jährig an einem Hirnschlag, nachts in seinem Bett. Der Verlust schmerzte schon seinerzeit, ist mir aber mit den Jahren noch bewusster geworden – das Verstummen einer Liederstimme der nicht nur ostdeutschen, sondern humanistischen Identität. Verstummen? Mitnichten! Es macht Hoffnung, dass auch heutzutage junge, neugierige und kritische Menschen an Gundi und seinen Liedgedanken kaum vorbeikommen. Zumindest bleiben sie nicht kalt, wenn sie darauf stoßen. Oder gestoßen werden. Und dass Andreas Dresen diesem Dichtersänger der großen Utopien und kleinen Hoffnungen mit seinem Spielfilm kein überhöhtes Denkmal gesetzt hat, sondern ihn vielmehr lebendig zwischen uns stellt und dadurch wirksam macht, ist ein kleines Wunder in unserer häufig doch so frustrierenden Medienwelt. Und an diesem Tag denke ich seither auch und besonders an Conny, an Gundis Frau, die ungern seine Witwe genannt werden möchte und die gar nicht einsam sein kann mit all dem, was Gundi ihr und uns hinterlassen hat. Aber allein ist sie manchmal doch, da bin ich sicher.
Und nun, seit sieben Jahren, kann ich an diesem 21. Juni auch feiern: Den Geburtstag meines jüngsten Enkels. Dem erzähle ich nun – als Großvater – auch von der Ekliptik, hüte mich aber vor der Prognose, von nun an gehe es bergab, denn der Sommer liegt ja vor uns, und singe ihm ein paar Lieder vor, eigene und auch ein paar von Gundermann. Und ich denke an Gundis Satz, den er sagte, als die Zeit auf seinem Bagger zu Ende ging und Neuorientierungen anstanden: Wenn Gott eine Tür zuschlägt, macht er irgendwo eine andere auf. Am 21. Juni ist das offensichtlich so…
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