Freitag, 15. Januar 2021
Sprachkapriolen
Dass das Orwellsche Neusprech aus 1984 durchaus einige Gemeinsamkeiten mit dem übertriebenen Gender-Sprech unserer Zeit zu tun hat, dürfte manchem Zeitgenossen schon aufgegangen sein (die Zeitgenossinnen inbegriffen). Die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ hat dazu eine klare Position, die ich als Germanist und Literaturwissenschaftler vollkommen teile – Näheres möge man/frau dort nachlesen…😉
Dabei habe ich gar nichts dagegen, im konkreten Falle Studentinnen und Studenten zu begrüßen oder eben Damen und Herren (als Mittsechziger darf ich wohl durchaus ein wenig konservativ klingen). Um den inzwischen (mindestens) drei Geschlechtern gerecht zu werden, kann es meinetwegen ruhig mal etwas länger dauern mit den Begrüßungsformeln. Kein Verständnis dagegen habe ich für die künstliche Sprechpause des (neudeutsch) „Gender-Gaps“ – wenn ich höre, es gebe Lehrer innen, dann frage ich mich stets, was Lehrer wohl außen machen. Nun gut.
Wie weit der sprachliche Unsinn geht, durfte ich heute früh auf D-Radio Kultur erleben: Ein Moderator war im Gespräch mit der jüngsten Delegierten des heute beginnenden virtuellen CDU-Parteitages, der den neuen Vorsitzenden (es stehen nun mal nur Männer zur Wahl) bestimmen soll. Offenbar im Bestreben, sich bei Frau Fischer aus Erfurt beliebt zu machen, sprach dieser Journalist mehrfach von CDU-Mitgliederinnen und -Mitgliedern. Herrgott! Was ist nur los im gebührenfinanzierten Qualitätsjournalismus?! DAS Mitglied ist sächlich, Neutrum, Punkt um! Da gibt es nun mal keine Mitgliederinnen. Es sei denn, man spräche von einem Mitglied mit Glied. Dann wären die CDU-Mitglieder mit Glied sehr wohl zu unterscheiden von den CDU-Mitgliedern ohne Glied. Aber ich glaube, das hat der Moderator so nicht gemeint. Es hätte ihm wahrscheinlich ohnehin einen Sexismus-Vorwurf eingebracht.

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Mittwoch, 18. November 2020
Nur noch kurz die Welt retten
Liebe Impfgegner, es ist an der Zeit, einmal aufrichtig Danke zu sagen – Danke, dass ihr die Möglichkeit einer weitgehenden Immunisierung gegen das (von euch ja entweder komplett oder zumindest in seiner Gefährlichkeit geleugnete) Corona-Virus nicht nutzen werdet. Dafür zolle ich euch aufrichtige Hochachtung und Respekt – was sage ich: Ich bin schlichtweg begeistert! So komme ich etwas eher dran (die Schlange der Wartenden in meiner Generation ist nämlich lang). Und ihr tut – vielleicht ohne es zu wissen oder zu wollen – damit der Welt etwas Gutes. Durch euern tapferen Verzicht ist es vielleicht eher möglich, den ärmeren Ländern dieser Erde den zu Beginn ja sicher noch raren Impfstoff ebenfalls zur Verfügung zu stellen! Die Menschen dort werden es euch danken; vielleicht paddeln einige dazu sogar übers Mittelmeer – für Dankbarkeit ist kein Weg zu weit, sagte meine Oma schon immer. Und nicht nur das: Ihr trefft mit euerm Verzicht natürlich auch die Pharma-Konzerne hart auf die Nase, deren Vergoldung ihr bestimmt nicht mitfinanzieren werdet! Und diesem reptilienartigen Alien an der Spitze der Impf-Lobby, diesem Ami-Mr. Bill Gates, werdet ihr natürlich kein Geld (das er so dringend braucht – wofür euch immer) in den Echsenrachen schleudern (apropos: Gate – englisch: das Tor! Warum ist noch niemandem aufgefallen, dass dieser Nicht-Mensch DAS TOR sein will, jenes Nadelöhr also, durch das ihr Kamele alle gehen müsstet, um ins Himmelreich zu kommen?! Nomen est omen…).

Freilich muss ich euch auch warnen. Hier in meiner Heimatstadt wird gerade eine ehemalige Flüchtlingsunterkunft wieder flottgemacht; man munkelt, es solle ein Impf-KZ werden. Was genau da drin mit euch passieren wird, weiß man natürlich noch nicht, aber so ist es eben: Die Weimaraner wussten ja auch nicht, was in Buchenwald vor sich ging, bis sie von den Amis (sic!) durchs TOR (sic!) gescheucht wurden. JEDEM DAS SEINE.
Ziemlich brutal, wenn man so mit der Realität konfrontiert wird, nicht wahr? Vielleicht mutet ihr euch so eine Begegnung der dritten Art ja schon vorher mal zu und fragt auf der Intensivstation des nächstgelegenen Krankenhauses um eine kurze Besuchserlaubnis an? Aber – so viel Anpassung muss sein – bitte nur mit Maske!

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Donnerstag, 25. Juni 2020
Politische Korrektheit - ja, bitte! Aber mit Augenmaß...
Eine Unkultur greift um sich, die unter der Vorgabe politischer Korrektheiten auf eine gefährliche Weise intolerant, rechthaberisch und zunehmend aggressiv auftritt. Die Themen: Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, Anti-Rassismus, staatliches Machtmonopol, ideologische Deutungshoheit. Alles höchst wichtige und brisante Themen, zweifellos, doch auch diffizil und nicht mit schablonenhaften Denkmustern zu klären. Ich denke, viele werden bereits Erfahrungen im Umgang mit den zahlreicher (oder vielleicht nur lauter?) werdenden Rechthaber*/_Innen jeglicher Coleur gesammelt haben. Ich verarbeite die meinen heute mal lyrisch - vielleicht ist Poesie ja eine mögliche Lösung (wer dichtet, haut nicht - oder so ähnlich...):

Sapere aude!

Ich bin ein ziemlich alter Mann,
zu allem Unglück weiß geboren,
und auch, wenn ich dafür nichts kann,
hab‘ ich schon irgendwie verloren.

Ich bin heterosexuell
und hatte damit kein Problem,
doch wenn ich heut‘ davon erzähl‘,
ist mir, als sollte ich mich schäm‘.

Mein Herz schlug links die ganze Zeit;
ich hatte meinen Marx gelesen
und selbst gedacht, doch so befreit
bin ich die längste Zeit gewesen.

Denn heute wird mir diese Welt,
in der ich mich halbwegs auskannte,
mit neuen Regeln vollgestellt,
wo ich schon gegen Mauern rannte:

Was sag ich wann? Was lieber nicht?
Wer könnte sich beleidigt fühlen?
Wo zeig‘ ich besser kein Gesicht?
So sitz‘ ich zwischen allen Stühlen

und finde es im Grunde öd‘,
Sternchen und Gaps zu diskutieren,
weil wir dabei, und das ist blöd,
das Wesen aus dem Blick verlieren:

Ein jeder Mensch soll jeden lieben
dürfen, wenn's der andre mag,
und was die alten Denker schrieben,
ist das, was ich auch heute sag:

Was du nicht willst, dass man dir tu',
das füg' auch keinem andern zu,
und des Verstandes höchstes Gut:
Sich seiner zu bedienen voller Mut!

Eigentlich nichts Neues…

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Sonntag, 21. Juni 2020
Über Gott, den Tod und das Leben
Sommeranfang. Von nun an gehe es bergab, war ein Satz, den mein Großvater jeweils am Morgen des 21. Juni zu sagen pflegte, nachdem er – passionierter Gärtner – seine Runde durch die Beete, Rabatten und Hecken absolviert hatte. Wie alt war ich damals, fünf, sechs, sieben? Spätestens da sah ich vor mir die vielgestaltige, geheimnisvolle und verlockende Landschaft der ewig langen Sommerferien – ein Bergab war nicht zu erkennen, nicht vor Mitte August jedenfalls. Dennoch erzeugte der großväterliche Spruch ein mulmiges Gefühl.
Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Mein Vater, Naturwissenschaftler, war stets zu Erklärungen bereit. Mit seiner starken Stabtaschenlampe und dem drehbaren Globus zeigte er mir in der abgedunkelten Speisekammer, wie die Ekliptik der Erdrotation die Jahreszeiten erzeugt. Warum tut die Erde das, fragte das Kind in mir, das gern den ewigen Sommer gehabt hätte. Vater wies auf die nun dunkleren Teile des Globus. Die Kinder dort lieben auch den Sommer, sagte er, der idealistische und sozialistische Internationalist, schlicht und ich begriff es als Akt gelebter Solidarität, die Kinder in Feuerland, Kapstadt oder auf Neuseeland nicht der Dunkelheit zu überlassen. Und doch erwarte ich den 21. Juni seither in jedem Jahr mit einem leisen Schauer, einem geheimen Grauen, der Erd- und Himmelsmechanik so ohnmächtig ausgeliefert zu sein: Von nun an geht’s bergab. Ende Dezember wechselt das natürlich. Aber als Mittsechziger ist auch das eine andere Gefühlslage als jene, in der man sich als Teenager angesichts der natürlichen Allgewalt befand.
Vor nunmehr 22 Jahren wurde der 21. Juni zudem emotional aufgeladen: Gerhard Gundermann war gestorben, 43jährig an einem Hirnschlag, nachts in seinem Bett. Der Verlust schmerzte schon seinerzeit, ist mir aber mit den Jahren noch bewusster geworden – das Verstummen einer Liederstimme der nicht nur ostdeutschen, sondern humanistischen Identität. Verstummen? Mitnichten! Es macht Hoffnung, dass auch heutzutage junge, neugierige und kritische Menschen an Gundi und seinen Liedgedanken kaum vorbeikommen. Zumindest bleiben sie nicht kalt, wenn sie darauf stoßen. Oder gestoßen werden. Und dass Andreas Dresen diesem Dichtersänger der großen Utopien und kleinen Hoffnungen mit seinem Spielfilm kein überhöhtes Denkmal gesetzt hat, sondern ihn vielmehr lebendig zwischen uns stellt und dadurch wirksam macht, ist ein kleines Wunder in unserer häufig doch so frustrierenden Medienwelt. Und an diesem Tag denke ich seither auch und besonders an Conny, an Gundis Frau, die ungern seine Witwe genannt werden möchte und die gar nicht einsam sein kann mit all dem, was Gundi ihr und uns hinterlassen hat. Aber allein ist sie manchmal doch, da bin ich sicher.
Und nun, seit sieben Jahren, kann ich an diesem 21. Juni auch feiern: Den Geburtstag meines jüngsten Enkels. Dem erzähle ich nun – als Großvater – auch von der Ekliptik, hüte mich aber vor der Prognose, von nun an gehe es bergab, denn der Sommer liegt ja vor uns, und singe ihm ein paar Lieder vor, eigene und auch ein paar von Gundermann. Und ich denke an Gundis Satz, den er sagte, als die Zeit auf seinem Bagger zu Ende ging und Neuorientierungen anstanden: Wenn Gott eine Tür zuschlägt, macht er irgendwo eine andere auf. Am 21. Juni ist das offensichtlich so…

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Sonntag, 21. Juni 2020
Der Musterschüler
Philipp Amthor ist auch heute Thema in den Medien, dieser akkurat gescheitelte 27Jährige, dem man – so Parteifreunde – aufgrund seiner Jugend (???) gewisse Unbedachtheiten nachsehen müsse (nur zur Erinnerung: Der „Club der 27“ zeigt, dass man als Rock’n‘Roller schon zu alt sein kann, wenn man als Politiker noch als Greenhorn gelten darf).
Ich will nun gar nicht die schmutzige Wäsche der letzten Tage nachwaschen, sondern nur auf einen Satz des christlich-demokratischen Hoffnungsträgers von heute schauen, den die Tagesschau einleitet mit dem indirekten Amthor-Zitat, man müsse bereit sein, eigene Ziele hinter das Wohl der Partei zu stellen. Dann spricht Amthor selbst treuherzig und livehaftig:
„Deshalb habe ich mich an dieser Stelle heute trotz überragender Unterstützung und viel Zuspruch auch aus den eigenen Reihen entschieden, dass ich für das Amt des Landesvorsitzenden der CDU Mecklenburg-Vorpommern nicht zur Verfügung stehe.“
Diesen Satz sollte man mehrfach und genau lesen. Er wirft ein Licht auf die Verhältnisse innerhalb dieser Partei (Amthor beschwört das Bild der „fest geschlossenen Reihen“, aus denen überragende Unterstützung und viel Zuspruch kommt), aber wohl auch außerhalb, wobei mich schon interessieren würde, wem die Arabeske „auch“ vor „aus den eigenen Reihen“ gilt – der politische Gegner wird es ja kaum sein. Und die Formulierung „nicht zur Verfügung stehe“, die klingt geradezu schmollend und dünkelhaft – ätsch, das habt ihr nun davon!
„Aufgrund meines schwerwiegenden Fehlverhaltens bin ich nicht würdig, für den Landesvorsitz zu kandidieren“ – das wäre der richtige Satz gewesen. Knapp und präzise formuliert. Aber so etwas können Juristen wahrscheinlich gar nicht…

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Freitag, 19. Juni 2020
Geschlechterfragen
Es gibt Tage, die gehen vorüber, ohne dass ich mich über irgendwas aufregen könnte. Nicht, dass ich mit allem einverstanden wäre, was da so passiert und angedeutet, verbreitet, erklärt oder behauptet wird, aber als Aufreger reicht es halt nicht. Dann aber gibt es Momente, da möchte ich aus der Haut fahren. Und es ist ungesund, dies nicht zu tun.
So will und muss ich mich heute erregen über all die strengen Sittenwächter*innen und *außen, die gendern, was das Zeug hält (das Zeug – Neutrum!), die Sternchen verteilen, um damit eine ganz eigene Wertung vorzunehmen, und die Gaps aufreißen, über die ich nicht nur sprechend schwer hinwegkomme. Besonders brisant wird es für mich, wenn es der Kunst an den Kragen bzw. ans Geschlecht – im übertragenen wie wörtlichen Sinne – geht. Wie hat mich da jüngst das „Eiskalte Aufklärungsmanifest“ von Maxim Biller im Feuilleton der ZEIT (24/2020) erfreut, denn auch ihm geht da manches gegen den Strich.
Konkreter Anlass war allerdings keineswegs ein Strich, sondern eher das Gegenteil: „der erstklassige Penis“ (Zitat!) nämlich von Rammstein-Röhre Till Lindemann…, nun gut, das soll – wer will – dort selbst nachlesen. Allerdings übertrug sich der öffentliche Vorwurf männlicher Härte dann aufs poetische Werk des einstigen DDR-Schwimmkaders (die Frage, inwieweit das Staatsdoping zu dieser Härte im einen wie anderen Fall beigetragen haben könnte, stellt sich mir in diesem Zusammenhang, bleibt aber unbeantwortet und damit auch hier außen vor).
Und damit wird es zum leider nicht neuen Problem in Zeiten, da Eugen Gomringer, der altlüsterne Bewunderer der Frauen, nicht ungestraft eine Hochschulfassade betexten darf, hinter der heutige Student*/_Innen ihre feminine Militanz ausleben. (Dass Gomringers Schlüsseltext der Konkreten Poesie inzwischen an einer anderen Fassade ganz in der Nähe wiedererstanden ist, sei mit Dank an die Berliner Wohnungsgenossenschaft "Grüne Mitte" vermerkt – es gibt noch Mut in dieser Welt!)
Nun will ich gar nicht versuchen, Gomringer und Lindemann auf eine Stufe zu stellen; Vergleiche hinken ohnehin. Aber wenn schon, denn schon: Konsequenterweise empfehle ich, endlich den ollen Goethe vom Sockel zu schubsen, in Weimar und anderswo: „Und der wilde Knabe brach’s / Röslein auf der Heiden. / Röslein wehrte sich und stach, / half ihm doch kein Weh und Ach, / musst es eben leiden…“ – aber hallo! Das ist die reinste Vergewaltigungslyrik, meine Dam*innen! Und wer beim nächsten Abend mit Schubert-Liedern nicht bei der Forelle entrüstet aufspringt, gehört ausgepeitscht: Eine dreiste Verführung wird da besungen mit Lug und Betrug! Christian Friedrich Daniel Schubart, der Textdichter, sagt es in der letzten Strophe (die Schubert übrigens unvertont beiseite ließ?!) sehr deutlich: „Meist fehlt ihr nur aus Mangel / Der Klugheit; Mädchen, seht / Verführer mit der Angel – / Sonst blutet ihr zu spät“! Da kann dieser Schubart noch so sozialkritisch und antifeudal gedichtet haben, wie er will – so ein Text gehört auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Und wenn der schon entzündet wird, werft bitte Heinrich von Kleist mit hinein: „Die Marquise von O.“ hat es verdient (bzw. derjenige, der laut Kleist ihre Ohnmacht für Dinge ausnutzte, die zu schildern sich in einem für Jugendliche unter 18 Jahren frei zugänglichen Blogbeitrag selbstredend verbietet). Von den Gebrüdern Grimm ganz zu schweigen, denn welche Moral muss man aus der Geschichte „Vom Fischer un sin Fru“ extrahieren? Genau: Das gierige Weib ist schuld am Unglück, in dem am Schluss der Story beide wieder sitzen! Der brave Mann kann nix dafür – außer dass er keinen A… in der Hose hatte, um sich gegen die zänkische Alte mal durchzusetzen.
So, nun geht es mir schon viel besser. Und eines ist sicher: Ihr habt noch viel zu tun!

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Freitag, 15. Mai 2020
Gewagte Assoziationen?
Der „Spiegel“ bringt in seiner aktuellen Ausgabe einen lesenswerten Gastbeitrag des ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Gerhard Schick – aktuell als Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende aktiv. Sein Titel: „Raus aus der Dauerkrise“. Er blickt darin über den Tellerrand der Corona-Krise und hebt auf sinnfällige Gemeinsamkeiten mit der Banken- und Finanzkrise sowie der globalen Klimakrise ab. Kluge Gedanken, nichts erscheint weit hergeholt, vieles machbar. Zudem spiegelt der Beitrag keine Einzelmeinung wider, sondern verweist auf eine Stellungnahme mehrerer Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler im Rahmen des Projekts "Transformative Responses to the Crisis": https://transformative-responses.org/.
Ich will den Beitrag hier nicht wiederholen – man lese ihn an originaler Stelle nach: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/raus-aus-der-dauerkrise-a-23802028-a123-45ad-b1da-ef7ade43803d?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ.

Dies aber sei gesagt: Besonders anregend finde ich im Fazit des Beitrags von Gerhard Schick das Ziel einer "zukunftsfähige(n) Politik der Resilienz" mit einem grundlegend umgebauten Wirtschafts- und Finanzsystem. Das wäre tatsächlich was! Eine wirklich und endlich andere Weichenstellung, die nach Schick nicht nur möglich, sondern unausweichlich sei! Aber woher sollen die dafür erforderlichen Mehrheiten kommen? Trotzdem unterschreibe ich das gern.
Allerdings ist mein aktueller Eindruck, dass die anfängliche, wenn auch zaghafte Bereitschaft, angesichts von Corona über wirkliche Veränderungen und Neuausrichtungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nachzudenken, längst wieder verflogen ist. Nun geht es den meisten um ein Zurück in die Zukunft und weiter wie bisher. Und das hieße, nach Corona sei vor Corona, nur besser, schneller, mehr…

Ein sicher gewagter Vergleich: im Herbst 89 dominierte im Osten noch der Wunsch nach einer Alternative, die gegenüber der bisherigen DDR etwas wirklich Neues hätte sein können. Im Frühjahr 90 implodierte dieser Wunsch zugunsten des Rufs nach D-Mark und Deutschland. Da sollte es dann nur noch genauso werden wie bei denen da drüben. Bloß nichts Neues mit all seinen Unwägbarkeiten! Und so scheitern die Utopien, die kurzzeitig durchaus Strahlkraft besitzen, offenbar an unserem Unvermögen, nicht nur über die Schuhspitzen hinaus zu denken, sondern dann auch loszugehen. Auf wessen Befehle warten die Weichensteller? Also wir???

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Dienstag, 12. Mai 2020
Wie weiter, und wenn ja, wohin?
Was ist da los, fragt sich mancher verwundert, und andere wundert gar nichts mehr. Die zu Beginn der Corona-Krise viel beschworene Solidarität, die neue Bescheidenheit, der fürsorgliche Umgang miteinander – all das scheint vergangen, vergessen, nie dagewesen. An ihre Stelle treten öffentlichkeitswirksame Proteste gegen alles und jeden, was mit Corona in Verbindung gebracht werden kann, und es entstehen – auf der Straße wie im Netz – unheilige Allianzen, die von der jüdischen Weltverschwörung über den Impfdiktator Bill Gates und seinen schwarzgelockten Handlanger in der Berliner Charité bis zur notstandsgesetzgebenden Merkel-Diktatur endlich erkannt haben wollen, was die Welt im Innersten… nun, nicht gerade zusammenhält, sondern eher auseinandersprengt. Sachliche Argumentation ist kaum möglich, zumal die Beweggründe der teils erstaunlich aggressiven Spaziergänger ganz unterschiedlich sind und dieses schillernde Gebräu hervorbringen, das von ehrlich (um ihren Arbeitsplatz, ihre Perspektive und ihren Status) besorgten Menschen über notorische Quer-Frontler und -Ulanten bis zu rechten Extremisten, antidemokratischen Reichsbürgern und vermeintlich linken Sektierern reicht. Verblüffend zudem, wie perfekt diese Szene bereits auf der Klaviatur ihrer eigenen Medien spielt. Aber das muss sie ja auch, weil die Staatsmedien bekanntlich zur allgemeinen Verschwörung gehören. Und dass ein Mund-Nasen-Schutz nur die softe Variante eines ideologischen Maulkorbs ist, müsste ja nun auch jedem klar geworden sein, oder?

Ich will an dieser Stelle keineswegs so tun, als sei ich von allem überzeugt, was da in den letzten Wochen angeordnet wurde und passiert ist, und mein Verständnis ist oftmals an Grenzen gestoßen – an fachlich-sachliche (wer von uns versteht schon, was ein Virus wirklich ist?) ebenso wie an moralisch-ethische (wenn 92jährige Mütter versterben, ohne dass man sie dabei in den Arm nehmen darf – das kann ich belegen)! Ich wurde zudem Mitte März aus dem Urlaub im Süden zurückbeordert und war darob anfangs ziemlich sauer – aber ehrlich: In einem spanischen oder italienischen Krankenhaus auf dem Höhepunkt der Pandemie zu landen wäre keine erstrebenswerte Alternative gewesen. Auch sind mir sämtliche mühsam organisierte Lesungen und Konzerte im ersten Halbjahr weggebrochen, was sicher nicht meine Existenz gefährdet, wohl aber mein Ego, ein wenig zumindest. Dennoch bin ich grundsätzlich überzeugt, dass unsere bundesdeutsche Republik und ihre Repräsentanten (m/w/d) auf oberster wie subsidiärer Ebene angesichts der schwer kalkulierbaren Herausforderungen eine insgesamt gute Figur gemacht haben.

Ich will mich aber auch um meine Kritikpunkte nicht drücken. Im Gegenteil – ich würde gern darüber in eine offene Diskussion eintreten und dies keineswegs mit dem Anspruch verbinden, recht zu haben und recht zu behalten. Also – hier kommen meine kritisch-konstruktiven Thesen:

• Ich sehe den plötzlichen Boom der Digitalisierung im Bildungsbereich skeptisch. Da wird der Eindruck vermittelt, es könnten wenn nicht alle, so doch viele Probleme gelöst werden, wenn nur die richtige Technik in Schulen und Schülerhänden vorhanden wäre. Lehrermangel? Kein Problem! In MOOCs haben schon Tausende gemeinsam „gelernt“! Und beim Homeschooling hat man zudem auch noch eine funktionierende Toilette mit fließend warmem Wasser – wenn das kein Fortschritt ist…
• Ich halte die Globalisierung in ihrer in den letzten Jahren und Jahrzehnten realisierten Form für grundsätzlich änderungsbedürftig. Hier ist nicht der Ort, um ins Detail zu gehen, aber wenn wir es auf diesem Planeten nicht schaffen, die Ungleichheiten der Welt (und die innerhalb unserer eigenen Gesellschaft) abzumildern, dann fliegt uns dieser Planet irgendwann um die Ohren. Und die Globalisierung war bisher eher ein Turbolader, der die Ungleichheiten vertieft und ihre Vertiefung beschleunigt.
• Ich glaube, wir müssen dringend eine Debatte führen, was wir unter Begriffen wie Experte oder Eliten verstehen. Die Intellektuellenfeindlichkeit in Teilen dieser Gesellschaft ist gravierend und erschreckend. Dabei ist jeder von uns irgendwo ein bisschen Experte und anderswo auf das Expertentum anderer angewiesen. Konfuzianisch gedacht müssten wir lernen, das eine vom anderen zu unterscheiden. So zu tun, als hätten wir die absolute Weisheit mit Löffeln gefressen, bringt uns jedenfalls nicht weiter („Die Partei, die Partei hat immer recht…“).
• Ich plädiere für eine Renaissance des utopischen Denkens. Frühere Gesellschaften hatten noch ein Ziel vor den Augen (ob es erreichbar war, sei mal dahingestellt). Das Ideal eines Höher-Schneller-Weiter-Mehr-Kapitalismus hat sich nun sogar in den Augen von konservativen Politikern überlebt. Was setzen wir an dessen Stelle? Eine düstere Dystopie des Weltuntergangs oder das Bild eines solidarischen Miteinanders zum Wohle aller – inklusive eines zeitgemäßen und fairen Generationenvertrages, der den Jungen Chancen eröffnet und die Alten weder ins gesellschaftliche Abseits drängt noch sie überbehütend ihrer Freiheiten beraubt. Meine Präferenz ist dabei klar…
• Ich hoffe, dass in diesem Zusammenhang eine Wertediskussion geführt werden kann, die sowohl bewahrenswerte Traditionen einschließt als auch neue Entwicklungen aufgreift, die kulturelle Vielfalt als Bereicherung begreift und ihre Existenz nachhaltig absichert, die gemeinschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten höher hängt als individuelle Besitzstände und die die berühmten sechs Worte „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ mit konkretem Leben füllt. Ein ganz konkreter Aspekt fällt mir in diesem Zusammenhang auch gleich ein: Statt eines „Auto-Gipfels“ in Corona-Krisenzeiten wäre ein „Pflege-Gipfel“ wesentlich sinnvoller gewesen, der zudem nicht auf kurzfristigen Applaus und einmalige Sonderzahlungen für jene unverzichtbare Klientel hinausläuft, sondern auf eine grundsätzliche Neuordnung der sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Werte und Wertigkeiten. Dafür wäre es auch jetzt noch nicht zu spät.

Sicher, das sind nur fünf Facetten eines insgesamt komplexen und diffizilen Geflechts von Ursachen und (Wechsel-)Wirkungen. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Nur sollten wir damit nicht mehr zu lange warten.

Ach ja – eins noch zum Schluss: Nachdem der Bedarf an Toilettenpapier inzwischen wieder gedeckt werden kann, droht nun der nächste existenzielle Engpass: Die Aluminiumfolie wird knapp! Zweckentfremdet zu schicken und vernunftabweisenden Hütchen oder besser gleich Ganzkörperhüllen. Was für ein Glanz in unseren Landen!

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Sonntag, 3. Mai 2020
Konstruktiver Beitrag zur Theorie der Verschwörungen
Da kursiert ja so einiges derzeit, was mich zwischen Fassungslosigkeit, Unverständnis und Amüsement schwanken lässt. Ich denke, ich muss nicht im Einzelnen darauf eingehen, ob nun Corona ein militärisches Produkt (China? USA? Russland? ...) ist oder von Bill Gates geschickt, um im Dienste der geheimen Weltregierung die Freiheit des Einzelnen auf dem Altar der Digitalkonzerne zu opfern oder aber unsere ach so schöne Demokratie aus den Angeln zu heben. Schwamm drüber...
Ich bleibe mit meinem Beitrag sozusagen im Mikrokosmos der Corona-Krise, und zwar bei den auffällig niedrigen Infektionswerten und Todesraten in allen ostdeutschen (!) Bundesländern.
So, das ist euch auch schon aufgefallen? Und ihr habt euch gefragt, was die Ursache dafür sein könnte?
Nun, mal ehrlich, Freunde: Wir im Osten, die wir seit 50, 60 oder 70 Jahren hier leben, haben einfach einiges durch. Und was uns nicht umbringt, macht uns hart, wie man so sagt: Asbest in der Luft und Chemie in den Flüssen, Zweitakterabgase in der Nase und im Lungenflügel, wo sie sich prima mit dem ungefilterten Karo-Dunst zu vertragen scheinen, und nicht zu vergessen der Rundum-Schutz erzwungener Impfungen, von klein auf und ohne Ausnahme. Das macht resistent, und diesen Vorsprung holt kein Bayer, kein Bader und kein Rheinländer jemals auf. Und dass Brandenburg - innerhalb der ostdeutschen Länder - den traurigen Spitzenplatz einnimmt, bestätigt nur meine These: Da sind durch die Hauptstadt- und Regierungsnähe in den letzten Jahren so viele ungeschützte Wessis zugezogen, dass in Rund-um-Berlin fast mehr geschwäbelt wird als in Stuttgart. Und eben auch mehr gehustet und gestorben - sorry, ist nun mal so.
Also - es lebe die Ostlegierung unserer Lungen und schütze uns auch förderhin vor Corona und anderem Unbill. Erichs letzte Rache sozusagen an der deutschen Einheit! Und wer das nicht glaubt, hat den Sinn von Verschwörungstheorien einfach nicht verstanden...

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Dienstag, 28. April 2020
Offenes Gespräch - immerhin!
In Corona-Zeiten kommt man auf tolle Dinge. Wir - ein paar "alte, weiße Männer" und Freunde seit langem - haben einen virtuellen Gesprächskreis gegründet, in dem wir uns wechselseitig das zumailen, was wir Interessantes zum Thema finden in dem, was wir als Qualitätsmedien erachten: SPIEGEL und ZEIT, taz oder Tagesspiegel. Dann kann jeder seinen Senf dazugeben, und wir haben das Gefühl, nicht das Kaninchen vor der Schlange zu sein. Bis einer aus unserem Kreis in diesem Zusammenhang von "Rudelmedien" sprach und uns KenFM empfahl, um endlich die Wahrheit über Bill Gates und seinen durch Zwangsimpfung möglichen Griff zur Weltherrschaft zu erfahren...
Nun ja, dass es in unübersichtlichen Zeiten mit komplexen Herausforderungen unterschiedliche, teils gegensätzliche Meinungen gibt, ist zweifellos normal. Dafür mischen einfach zu viele (teils selbsternannte) Experten, vermeintlich Kundige und sendungsbewusste Laien dabei mit. Aber ich würde die ZEIT und den SPIEGEL nun nicht gleich als "Rudelmedien" disqualifizieren (wie weit ist es dann noch zur "Lügenpresse"?). Und dass man Ken Jebsen auch aus der linken Perspektive durchaus anders wahrnehmen kann, zeigt aktuell dieser Artikel der "Jungen Welt" (mit der ich im übrigen nur selten übereinstimme): https://www.jungewelt.de/artikel/377070.nazifl%C3%BCsterer-des-tages-ken-jebsen.html
Ich hab mir die KenFM-Videos auch angeschaut; einiges kannte ich bereits. Aber wie Bakhdi beispielsweise rumeiert und nicht sagt, dass Sars-CoV-2 ein tatsächlich neues Virus ist (was es nun mal ist!), das ist mir sehr suspekt (natürlich ist der Corona-Stamm seit langem bekannt, was aber keineswegs bedeutet, dass wir seine Mutationen im Griff haben).
Und auch das Bill-Gates-Bashing geht mir zu weit. Sicher, sein etwas vordergründiges Handlungsfundament der christlichen Nächstenliebe muss ich nicht teilen. Aber das hatten Martin Luther King, Stephen Biko und viele andere (selbst Gandhi auf seine religiös andere Weise) auch. Und den heutigen Kritikern sollte bewusst sein, dass Gates zu gewissen Zeiten viel Geld verdient hat mit unserer mehrheitlichen Bequemlichkeit und Bereitschaft, seine Komplettlösungen zu akzeptieren, indem er kapitalistische Marktprinzipien ausnutzte. Dann dürften wir auch nicht bei ALDI oder Lidl einkaufen, und deren Gewinnler engagieren sich bei weitem nicht so stark in soziale, kulturelle oder medizinische Projekte.
Zu Impfungen kann ich nur sagen: Bis auf wenige Risikofaktoren sind Impfungen aus meiner Sicht ein Segen für die Menschheit, sonst würden wir uns heute noch mit Pestillenz, Tuberkulose und anderem in ungleich höherem Maße herumschlagen. Ob Pflicht oder nicht - ich würde mich lieber heute als morgen pieksen lassen (wie ich es hinsichtlich Influenza bereits seit Jahren mache und künftig auch als Vorbeugung gegenüber Lungenentzündung tun werde). Die es dann partout nicht wollen, müssten es ja nicht "erleiden" - aber dann eben auch mit gewissen Konsequenzen und Risiken leben.
Man möge mich nicht falsch verstehen - ich bin keineswegs mit allem, was derzeit läuft, einverstanden und auch nicht mit jedem Beitrag der "Medien meines Vertrauens" konform. Insofern versuche ich schon, einen Überblick über die Meinungvielfalt zu behalten - und mir, soweit ich es mir zutraue, meinen Reim darauf zu machen. Und dennoch bin ich froh, dass es Persönlichkeiten wie Robert Habeck gibt, der keineswegs Panik schürt (!) und dem in einem Medium wie der ZEIT (18/2020, S. 2) umfassender Platz eingeräumt wird, ohne dass sich der Interviewer mit ihm und seiner Meinung gemein macht (was man ja als guter Journalist - so dereinst HaJo Friedrichs - auch nicht tun sollte).
Ich will auch niemanden von meiner Meinung überzeugen. Ich bin subjektiv, und ich kann und werde in Vielem falsch liegen. Aber ich finde auch diesen Austausch wichtig, denn er bringt uns immer wieder zum Nachdenken. Und genau das sollten wir nicht anderen überlassen!
P.S. Unsere Runde hat das akzeptiert. Ein gutes Zeichen in Zeiten wie diesen...

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