Montag, 20. April 2020
Ein Innehalten, ein Besinnen und ein Neubeginn
Die Literatur in den Zeiten von Corona… - zugegeben, das klingt etwas bemüht nach Gabriel García Márquez, dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger, und seinem großartigen Roman über die ein halbes Jahrhundert überdauernde Leidenschaft Florentinos für Fermina. Erst die über ihrem Dampfer auf dem Rio Magdalena gehisste gelbe Cholera-Flagge garantiert den beiden Alten das späte Glück einer ungestörten Zweisamkeit. So ziehen sie die selbst gewählte Isolation dem Leben in einer zunehmend befremdlichen Normalität vor.

Nein, das passt natürlich gar nicht auf unsere Corona-Krise. Und doch lohnt es sich, gerade jetzt ein wenig über Literatur nachzudenken, ist sie doch – wie inzwischen jede Facette unseres Lebens – vom Virus betroffen. Vielleicht sogar mehr als andere Bereiche, vielleicht weniger, auf jeden Fall aber anders, auf ganz eigene Weise eben.

Eines der ersten überregionalen Events, die der Krise zum Opfer fielen, war die Buchmesse in Leipzig. Die Absage kam spät, verzögert und verbunden mit dem Bemühen, aus der Not eine Tugend zu machen: Virtuelle Lesefeste wurden versprochen anstelle der nun abgesagten Begegnungen mit Autorinnen und Autoren, in Leipzig wie in Halle. Nun ja. Die Messe als kulturökonomisches und kommunikatives Ereignis lässt sich so ohnehin nicht ersetzen. Und den atmosphärischen Charme einer Lesung kann das Netz auch nicht vermitteln. Damit will ich das ehrliche Bemühen der vielen, denen Literatur und ihre Vermittlung am Herzen liegen, keineswegs schmälern. Aber es wäre fatal, wenn wir diese Virtualisierung als rundum gelungen bezeichnen – es würde einen aus der Not geborenen Status überbewerten, der auch künftig bestenfalls eine Ergänzung, keinesfalls aber eine neue Form von Normalität des literarischen Angebots sein sollte. Das Literaturhaus Halle ist schließlich ein reales Gebäude, ein stattliches obendrein, und es wird wieder gefüllt werden mit einem opulenten Programm rund um Literatur, Kunst und Leben.

Demgegenüber bemerkenswert die Tatsache, dass ausgerechnet Buchhandlungen in unserem Bundesland nicht von der allgemeinen Geschäftsschließung betroffen waren. Was darf man als Grund vermuten? Dass in multimedialen und digitalisierten Zeiten die Buchläden ohnehin nicht gerade überfüllt sind, sodass der Mindestabstand gewahrt bleibt? Dass Bücher in Zeiten der Krise als geistige Nahrung wie auch als notwendiger Zeitvertreib verfügbar bleiben sollten? Dass der übermächtigen Konkurrenz von Amazon & Co. nicht noch mehr Vorschub geleistet werden sollte? Wie dem auch sei – es war ein schönes Zeichen in Zeiten des Shut Downs, dem öffentlichen Leben zwischen den Bücherregalen ein Refugium zu gewähren. Ein Zeichen, mit dem sich das zeitweise Verbot, allein auf einer Parkbank sitzend ein Buch zu lesen, allerdings so gar nicht vereinbaren lässt…
Was aber sollte man lesen, vielleicht gerade jetzt? Mit Empfehlungen ist das ja stets so eine Sache, ganz abgesehen von Leselisten, die uns dereinst die Schullektüre verpflichtend vorschrieben, oder einem Kanon der unverzichtbaren Werke, egal ob von Marcel Reich-Ranicki oder wem auch immer aufgestellt. Soll ich es dennoch versuchen? Nun, García Márquez nannte ich schon. Ein praller, poetischer und ergreifender Roman über die Liebe, das Altern, die Erfüllung und vor allem die nicht endende Hoffnung. Das passt dann doch in diese Zeit, nicht wahr? Ich selbst entdecke gerade Margaret Atwoods „Der Report der Magd“. Der Kanadierin würde ich, unter uns gesagt, den nächsten Literaturnobelpreis zuerkennen. Auf jeden Fall habe ich mir schon die Fortsetzung „Die Zeuginnen“ auf meine Merkliste gesetzt. Schlöndorffs Verfilmung als „Geschichte der Dienerin“ kannte ich natürlich schon; die literarische Vorlage war mir bisher unerklärlicherweise entgangen. Und das, wo ich doch eigentlich ein Faible für gesellschaftliche Utopien und Dystopien habe, was mich zum dritten Tipp bringt: Aldous Huxley und – nein, mal nicht die „Schöne neue Welt“, sondern – sein viel später erschienener letzter Roman „Eiland“, der mit der Insel Pala einen spannenden Gegenentwurf liefert, auch wenn die dortige (fast) ideale Gesellschaft am Ende durch eine militärische Invasion untergehen wird.
Das Nachdenken über eine künftige Gesellschaft, deren Wesen nicht die Rückkehr zur Normalität vor Corona sein kann, beschäftigt uns ja derzeit alle irgendwie. Das meint das eigene, private Leben in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis ebenso wie die Zukunft von Wirtschaft und Arbeit, von Handel und Tourismus, von Umwelt und Kultur. Und da sind literarische Modelle so etwas wie fiktive Wegzeichen, die anregend sein können oder abstoßend, in jedem Fall aber zur Auseinandersetzung reizend. In diesem Sinne noch rasch zwei letzte Lektürevorschläge: Der Philosoph Richard David Precht hat mit „Jäger, Hirten, Kritiker“ eine Utopie der digitalen Gesellschaft entworfen, die mich in ihrer Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven überzeugt. Und mit dem Philosophen Wilhelm Schmid und seinen schmalen, gut lesbaren Bändchen wie „Gelassenheit“, „Vom Glück der Freundschaft“, „Die Kunst der Balance“ oder „Von den Freuden der Eltern und Großeltern“ kann man einiges über die Kunst des gelingenden Lebens lernen, was gerade in Zeiten wie diesen von Nutzen sein kann.

Zeiten wie diese werden auch die Literatur selbst, genauer gesagt ihre Produzentinnen und Produzenten anregen. Erste Texte zu Corona erscheinen bereits. Der 91jährige tschechische Autor Pavel Kohout hat sein Virus-Stück gerade in einer Onlinelesung aus einem leeren Prager Theater vorgestellt. Oft war die Literatur der Wirklichkeit voraus, jetzt darf und muss sie diese Realität verarbeiten, reflektieren, deuten. Wir stecken ja noch mittendrin und brauchen doch auch den Abstand, der relativiert. Was gestern normal war, scheint heute unendlich fern; die heutige Regel kann schon morgen außer Kraft gesetzt werden. Ob ich selbst darüber schreiben können werde, weiß ich noch nicht. Derzeit versuche ich – seit März offiziell „Altersrentner“ – damit klarzukommen, dass mein Übergang in den Ruhestand eines singenden, wandernden und reisenden Großvaters so ganz anders verläuft als gedacht. Der März-Urlaub auf La Gomera musste abgebrochen werden, der Harz ist aktuell eine verbotene Zone. Die für das erste Halbjahr geplanten Lesungen und Konzerte sind erst einmal abgesagt oder verschoben, weiteres muss man sehen. Dass in Krisen immer auch Chancen stecken, ist ein zuletzt viel beschworener Allgemeinplatz. Dennoch bewahre ich mir als Autor und Mensch so viel utopisches Potenzial, dass ich an eine Zukunft glaube, die kein Rückfall ins Gewesene sein kann, sondern in Vielem ein Innehalten, ein Besinnen und ein Neubeginn. Wahrlich, wir leben in spannenden Zeiten…

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Freitag, 20. März 2015
Die digitale Allzweckwaffe
Ich bin wieder optimistisch. Es gibt doch noch Lösungen für Probleme. Ach, was sage ich: Es gibt DIE Lösung für alle Probleme! Die Lösung hat drei Buchstaben und ist ohnehin in aller Munde. Erst ist mir das gar nicht so bewusst gewesen. Bekannte, die ein wenig Sorgen mit ihrem Sprössling haben, der in der Schule aufgrund abweichender Interessen und pubertärer Renitenz nicht mehr so richtig mitkommt, erzählten uns davon, dass er nun eine Nachhilfe-App nutze. Wir hofften mit ihnen. Dann war ich auf der Leipziger Buchmesse mit einem Schulbuchverlag verabredet, der mir in Form einer adretten jungen Dame Ähnliches für den Unterricht präsentierte: das Schulbuch der Zukunft als Wissens-App. Auf der CEBIT stellten Studenten der Universität Halle vor, wie sich Kommunen des nächsten Hochwassers erwehren könnten – genau, mit einer Katastrophen-App. Darüber lassen sich dann die Sandsäcke koordinieren. Aha. Besser wäre vielleicht doch, die Deiche zu erhöhen, aber den Deichbau in Halle hat ja ein Gericht erst mal gestoppt, dem Volkswillen geschuldet (der sich möglicherweise auch über eine App manifestiert hat???). Auch auf Bundesebene tut sich was: Die Pkw-Maut wird kommen. Die Grünen haben allerdings gerade in einem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Einnahmen deutlich geringer ausfallen werden als vom Bundesverkehrsministerium erwartet, weil der Personal- und Verwaltungsaufwand (beispielsweise für den Vignettenverkauf) höher sei als veranschlagt. Was sagt der Minister? Sie ahnen es: Er setzt auf eine App, mittels derer sich der digitalisierte Zeitgenosse aus den mehr oder weniger befreundeten Aus-Ländern die Vignette aufwandsarm beschafft. Als nun auch noch Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht als Reaktion auf den (im aktuellen Drogenbericht des Landes ausgewiesenen) Anstieg des Crystal-Konsums ankündigte, demnächst eine Aufklärungs-App an den Start zu bringen, die junge Leute über die Folgen dieses Missbrauchs informieren würde, war mir alles klar. Drei Buchstaben sind die Lösung all unserer Probleme – es lebe die App!

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Samstag, 21. Februar 2015
Ein Gruß in die Wolke
"Hier bin ich geborn, wo die Kühe mager sind wie das Glück..." - das widerfuhr ihm vor genau 60 Jahren: Gerhard Gundermann. Die ihn heute fleddern, 17 Jahre nach seinem viel zu frühen Tod, haben ihn zu Lebzeiten meist gar nicht gekannt. Und die, die ihn kannten, sind die eher Stillen (gut, Ausnahmen bestätigen die Regel). Ich will selbst auch gar nicht viel sagen, obgleich wir uns kannten, wie man sich eben kennt, wenn man in einem überschaubaren Land Ähnliches macht. Ich hab ihn erlebt mit den Feuersteinen in Frankfurt (Oder), als er den Hauptpreis der DDR-Chansontage gewann, "Männer, Frauen und Maschinen" auf ganz neue Weise besingend. Dann mit den viel zu lauten Wilderern im halleschen Steintor, aber selbst da: "Einsame Spitze"! Und solistisch noch im Frühjahr '98, als er den Rundturm der Moritzburg an drei Abenden hintereinander füllte mit seiner nachdenklichen Poesie, die nun, da er absteigen musste von seinem Bagger und wieder mal sein Leben umbrechen sollte, auch der Bitterkeit und des Sarkasmus nicht entbehrte. Wir wissen nicht, wie es weitergegangen wäre mit diesem sympathisch-anstrengenden Typen, der für die kommerzielle Kulturwelt so vollkommen unkompatibel erschien. Manches wäre ihm und uns erspart geblieben, wogegen er sich nicht mehr wehren konnte. Wir hätten sicher noch einige dieser Lieder bekommen, die sich auf wundersame Weise festhaken in der Seele. Und wir wussten doch längst, "dass alles, was kommt, auch wieder geht". Aber ob er sich einen Reim auf die heutige Welt machen könnte? "Immer wieder wächst das Gras..."
Den Film, den Andreas Dresen über dich drehen will, Gundi, den brauche ich nicht wirklich. Aber das heißt ja nicht, dass ihn andere nicht mögen werden. Meine drei Worte, um dich zu beschreiben (Conny und du, ihr habt das mal in Bezug auf Deutschland gemacht, weisstunoch?), lauten: ruhelos | radikal | menschlich.
Danke, Gundi!

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Freitag, 20. Februar 2015
Zusammenhänge herstellen - aber richtig!
Die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist sichtbar gestiegen. Das ist die wesentliche Aussage einer repräsentativen Studie im Auftrag der Bundesregierung, für deren Seriosität die altehrwürdige Alma mater in Halle geradesteht. Also – ich meine die Seriosität der Studie, nicht die des Auftraggebers (die ohnehin über jeden Zweifel erhaben ist). So melden es die Medien an dem einen Tag, und wir sehen froh, dass nun offenbar endlich zusammenwächst, was vor einem Vierteljahrhundert zusammengehörig gemacht wurde.
Am anderen Tag dann diese Meldung: Die Armut in Deutschland hat einen neuen historischen Höchststand erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt der Paritätische Gesamtverband und stellt fest, dass hierzulande derzeit rund 12 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben (die freilich sehr relativ erscheint im weltweiten Vergleich).
Arm und … nein, nicht sexy, aber doch zufrieden? Ich reibe mir verwundert die Augen. Was sagen uns diese scheinbar gegensätzlichen Befunde? Nun, ganz einfach: Dass sich manches Problem, das linke Gesellschaftsverbesserer durch radikale Umschichtungen des so ungleich verteilten Reichtums lösen wollen, offenbar auch anders aus der Welt schaffen lässt. Man kann doch auch mit den Krümeln zufrieden sein, wenn man nicht immer auf die Torte schielt?! Weniger ist mehr. Zufriedenheit ist eine Einstellungssache, und manchmal muss man eben nur die richtigen Zusammenhänge herstellen… (das hatte das Berliner Bärchen ja bereits vor Jahren für seine arme Hauptstadt getan).
Warum aber beruhigt mich diese Erkenntnis nicht wirklich?

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Wenn die Babys zweimal piepen
Das ist doch endlich mal ein Schritt in die richtige Richtung: Das Krankenhaus in Stendal im nördlichen Sachsen-Anhalt stattet ab sofort seine Neugeborenen mit einem Transponder aus, der über Bluetooth signalisiert, wo sich das süße Scheißerchen gerade befindet. Ein armbanduhrgroßes Empfangsgerät am Handgelenk der Mutter sowie natürlich die Überwachungstechnik der Klinik sorgen dafür, dass niemand den frischen Erdenbürger aus der Klinik entführt, und auch Verwechslungen der Babys, die ja häufig genug vorkommen (zumindest in Groschenromanen und TV-Vorabendserien), seien dadurch ausgeschlossen, versichert die Krankenhausleitung stolz. Apropos häufig: Deutschlandweit soll es jährlich ein Dutzend Babyentführungen aus Kliniken geben. Sagt nicht das Stendaler Krankenhaus, sondern die Statistik…, sagt das Krankenhaus (also doch). Und im Mitteldeutschen Rundfunk versichert eine Stendaler Mutti, wie froh sie nun sei, denn es nehme ja immer mehr zu, dass Kinder aus Krankenhäusern gediebstählt würden... Dortselbst, also in Stendal, sei das allerdings noch nie vorgekommen. Man habe aber von einem Fall in Nürnberg gehört und sorge nun vor. Na, immerhin. Ach ja – 40.000 Euro habe die neue Technologie gekostet. Dafür könnte man ja sogar anderthalb Kinderkrankenschwestern einstellen, habe ich errechnet, aber die piepsen natürlich nicht so schön wie dieses neue Gerät, dessen Strahlung übrigens völlig unbedenklich sei für die Babys, keine Sorge! Zumal niemand weiß, wo genau der Transponder an den kleinen Wesen angebracht wird – da halten sich die stolzen Medizintechniker nämlich bedeckt.
Andererseits wirkt auch dieser Schritt letztlich wieder nur halbherzig. Es wäre doch für eine Klinik sicher keine Hürde, dem Neugeborenen gleich einen MicroChip in seine dralle Pobacke zu implantieren. Der könnte dann ein Leben lang Auskunft geben, wo der oder die Betreffende sich gerade seinen bzw. ihren Hintern breitsitzt. Ungeahnte Möglichkeiten für Polizei, Steuerfahndung sowie gehörnte Lebenspartner/-innen. Aber keine Sorge: Ich bin sicher, dass wir darauf nicht lange warten müssen. Der Fortschritt lässt sich nämlich nicht aufhalten! Und was Fortschritt ist, bestimmen auf diesem Planeten längst schon die Technologen…

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Sonntag, 9. März 2014
Die Welt ist aus den Fugen
Dass Pferde inzwischen sogar in die Apotheken kotzen, wundert nicht einmal mehr die Pharmavertreter.
Jedes Rindviech furzt fröhlich Löcher in die Stratosphäre und behauptet wiederkäuend, dies diene der besseren Betrachtung des Mondes.
Wölfe kopulieren mit Schafen, auf dass ihren Nachkommen jegliche Eindeutigkeit abgehe.
Um den in die Antarktis einwandernden Löwenrudeln zu entgehen, exilieren Pinguine in die Sahara und beschweren sich bei den Kamelen, dass diese sämtliche Gletscher rutschfest abgestreut hätten.
Immer häufiger lassen sich Lemminge als Bergführer für einmalige Erlebnistouren engagieren.
Die Schweine haben Orwells „Animal Farm“ vom Index genommen und planen eine Reality Show mit menschlichen Darstellern – die ersten Castings laufen schon.
Schimpansen ignorieren Freundschaftsanfragen auf Facebook; gerüchteweise sei bei ihnen bereits eine Ape-App in Gebrauch.
Und die Delphine hätten, so heißt es, ihre Forschungsarbeiten zur Überwindung jeglicher Sprachbarrieren mangels Interesses eingestellt.
Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, das alles liefe hier zunehmend aus dem Ruder.

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Freitag, 28. Februar 2014
Notwendige Richtigstellung
Drei rechtsradikale Übergriffe innerhalb einer Woche in Merseburg: Jeweils wurden Ausländer beschimpft, beleidigt, geschlagen, beraubt. Auch jene, die den Angegriffenen zu Hilfe eilten, wurden attackiert. Aber: Die Polizei kann Fahndungserfolge und Festnahmen von mutmaßlichen Tätern vermelden. Nun liegt die Hoffnung beim Rechtsstaat. Und bei couragierten Bürgerinnen und Bürgern, die gegen diese braunen Übergriffe mobil machen und ihre bunte Flagge zeigen. Davon gibt es in Merseburg – auch dank der Hochschule mit ihren Studierenden – zum Glück nicht wenige.
In diesem Kontext mutet es mindestens merkwürdig an, wenn sich Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) immer wieder beeilt zu versichern, diese drei Taten stünden in keinem Zusammenhang zueinander; sie hätten nichts miteinander zu tun. Formaljuristisch scheint der Minister recht zu haben: Es waren offensichtlich jeweils andere Täter beteiligt. Dennoch irrt Herr Stahlknecht gewaltig: Der Zusammenhang dieser Taten ist im latenten Hass auf Ausländer, in der Fremdenfeindlichkeit unserer Gesellschaft und in der weitgehenden Akzeptanz rechter Parolen zu sehen. Hinzu kommt eine weitere Gemeinsamkeit: Diese Taten häufen sich gerade dort, wo sich mutige Menschen ihnen entgegenstellen. Da soll eingeschüchtert und terrorisiert werden, da soll die Angst vor der Nacht der langen Messer umgehen, da soll die Demokratie ihren Bankrott erklären. Und diese Bankrotterklärung beginnt genau dort, wo Politiker behaupten, derartige Vorfälle hätten nichts miteinander zu tun, Herr Stahlknecht!

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Donnerstag, 6. Februar 2014
Kein Ort. Nirgends? - Ein geografisches Problem
Kann mir mal jemand helfen und verraten, wo genau Kürze liegt? Nein, nein, nicht Kürzell – das liegt im Badischen mit der Postleitzahl 77974. So weit bin ich mit meinen Recherchen schon selbst gekommen. Na ja, wahrscheinlich liegt Kürze auch gar nicht in Deutschland. Sonst wäre es ja erreichbar. Sicher irgendwo am andern Ende der Welt, im australischen Outback, im unwirtlichen Feuerland, auf der karelischen Halbinsel. Das würde ich dann auch verstehen, denn der Transportweg dorthin (und zurück) ist enorm aufwändig, sodass es schon mal zu Verzögerungen kommen kann. Oder sich eventuell auch gar nicht lohnt. Aber dann sollte man es auch nicht versprechen, oder?
Was ich eigentlich meine? Ach so, ja – ihr geht ja wahrscheinlich nicht in dasselbe Fitnessstudio, in das ich (in unregelmäßig großen Abständen) meinen erschlaffenden Körper schleppe, um dem Muskelschwund (zumindest gefühlt) gegenzusteuern. Dort nämlich, in diesem Studio, dessen drei „s“ mich immer noch verwirren, steht so ein einfaches Gerät zum Training der Bauchmuskeln – man kann Sit-Ups darauf machen, wie die blutjunge und gertenschlanke Trainerin mir einst mit verschwörerischem Blick verriet (wir sagten früher im Sportunterricht „Rumpfheben“ dazu, was natürlich längst nicht so modern klingt). Ich habe das jedenfalls auch immer mal ausprobiert, aber nun liegt seit einem guten Vierteljahr auf diesem Gerät ein Schild mit der Aussage „Wird in Kürze repariert“! Anfangs dachte ich noch, damit wäre eine simple Zeiteinheit gemeint, eben eine kurze Spanne, und dann wäre alles wieder benutzbar. Doch als ich heute das Schild noch immer auf dem Gerät entdeckte, kamen mir Zweifel: Ein Vierteljahr – das ist im beschleunigten Zeitalter nicht kurz, sondern eine gefühlte Ewigkeit. Also muss „Kürze“ wohl doch etwas anderes bedeuten: Der Name des einzigen Ortes weltweit wahrscheinlich, in dem es eine Spezialwerkstatt für derartige Sit-Up-Maschinen gibt. Leider muss dieses Kürze wohl sehr weit entfernt sein, verborgen liegen und schlecht zu erreichen; auch meine Suchmaschine hat es jedenfalls nicht gefunden. Habt ihr eventuell einen Hinweis, den ich dem Fitnessstudio mal geben könnte?

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Mittwoch, 22. Januar 2014
Die Zukunft beginnt. Heute...
Da sitze ich in unserer erfreulich analogen Wohnung und werde heimgesucht von Visionen. Keineswegs von düsteren, eher vom Gegenteil: Sie sind hell, sauber, chromblitzend vielleicht und beinahe lautlos. So soll es sein, wenn die Computernetzwerke in den Haushalt hineinwachsen und den Chip des Handelns in den eigenen Host nehmen. Auf einschlägigen Messen wird darüber informiert, Fach- und Frauenzeitschriften berichten exklusiv, und was hinter prozessorverschlossenen Türen in echten Expertenkreisen dazu bereits abgeht, das möchte ich gar nicht erst wissen. Denn ich will das alles nicht! Ich will mich noch ärgern dürfen, wenn ich vergessen habe einzukaufen und der Kühlschrank leer ist. Ich will die Heizung dann aufdrehen, wenn ich nach Hause komme, und mich daran erfreuen, wie ich allmählich von ihr erwärmt werde (mit einem Glas heißer Honigmilch in der Hand). Ich will noch mit dem Staubsauger selbst in die Ecken fuchteln und auch nicht anschließend vom Gerät gesagt bekommen, ich hätte dabei genau siebenunddreißigkommasechs Kilokalorien verbraucht (und mir also ein Extrastück Schokolade verdient). Falls ich (was einmal im Jahr vorkommt) mir aus Heißhunger eine Pizza Napoli bestellt habe, sollen sich nicht im Anschluss die Kartons in meinem Tiefkühlfach stapeln, nur weil mein digitaler Hausfreund glaubt, mein Geschmack habe sich geändert. Und meine Unterhose muss mir auch nicht mit metallener Stimme mitteilen, wann sie gewaschen werden will. „Wearable Technologies” seien der neue Trend: Der Körper wird zur Fernbedienung. Brille, Watch, Implantate, Sensoren… - RoboCop meets Terminator. Sagte ich schon, dass ich noch immer einen Röhrenfernseher habe? Freilich hat mein Enkel (18 Monate) auch schon ausprobiert, ob es sich dabei um einen Touchscreen handelt – Fehlanzeige! Hier werden keine Bilder weggewischt, sondern nur die Spuren der Digital Natives. Übrigens ein LOEWE, genau, aus der beinah plattgemachten Edelschmiede; den gab‘s vor einigen Jahren fast neu zum Spottpreis, weil alle Welt nur noch die flachen Scheiben wollte. Und jetzt staunen meine Freunde, was für ein natürlich schönes Bild mein Kasten zaubert…
Zurück zum vernetzten Haus. Das könne die Raumtemperatur regeln in Abhängigkeit von der Wärme, die dort anwesende Menschen selbst produzieren, indem sie Kohlenhydrate oder Körperfett verbrennen. Muss ich das gut finden? Brauche ich das? Ich stelle mir vor, wie das Netz reagiert, wenn ich beim gelegentlichen Liebesspiel mit meiner Holden mal etwas transpiriere (und sie womöglich auch): Flugs wird das Zimmer runtergekühlt, und aus dem schönen Kuschelabend wird eine Polarexpedition. Nein, danke! Oder die angepriesene Gesichtserkennung als Türöffner?! Manchmal erkenne ich mich ja selbst nicht mehr im Spiegel. Clevere Kriminelle aber fischen aus dem Netz, das nichts vergisst, irgendein altes Foto von mir, drucken es aus in Hochglanz und mit 600dpi und halten es vors wachsame, aber dumme Auge: Schon springt die Tür auf, irgendwo aus dem Raum raunt den Einbrechern gar ein einprogrammiertes herzliches Willkommen zu, und flugs schleppen sie die fette Beute (beispielsweise meinen LOEWE als gesuchte Antiquität) hinaus. Diese Entwicklung birgt also Gefahren, wohin man auch surft.
Woher ich das alles weiß? Na, das hab ich grad‘ mit meiner News-App auf meinem Tablet gelesen...

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Dienstag, 21. Januar 2014
Prima Primzahlen!
Ich ging im Walde so für mich hin / und hatte doch eigentlich gar nichts im Sinn… - so will ich mal den Klassiker bemühen angesichts dessen, was mir heute widerfahren ist beim Spaziergang durch einen neblig nassgrauen Wintertag. Da kann man natürlich nicht wie Goethe auf Blümlein hoffen, die man ausbuddeln und in den gut umzäunten heimischen Garten verbringen könnte. Es war eher die trübe Stimmung für was Abstraktes, so was wie… Primzahlen zum Beispiel. Primzahlen? Also, ich kam wohl irgendwie über Märchen drauf (da primt es ja bekanntlich gewaltig): die sieben Zwerge, die sieben Geißlein, die sieben Raben… Das kleinste unteilbare Ganze. Oder jene überzählige Fee, die als Dreizehnte über das harmonisch runde Dutzend der goldenen Teller im Königspalast hinausreicht…
Addiert man zwei Primzahlen, bekommt man übrigens nicht etwa eine neue Primzahl, sondern immer eine gerade Zahl, die zudem noch sehr gut teilbar ist (wie 7 + 13 = 20, 11 + 13 = 24 oder 11 + 19 = 30 anschaulich zeigen). Nein, nein – ehe hier falsche Schlüsse aufkommen: Ich bin beileibe kein Mathematiker und habe ansonsten mit Zahlen eher weniger am Hut. Aber an so einem abstrakten Tage kann das ja mal passieren! Inzwischen beschäftigte mich die Frage nach richtig großen Primzahlen. Dreistelligen, vierstelligen vielleicht? Gibt’s die eigentlich? Der Theoretiker sagt, da die Folge der natürlichen Zahlen unendlich ist, muss auch die Anzahl der darin enthaltenen Primzahlen unendlich groß sein. Womit die eine Unendlichkeit zwangsläufig die Teilmenge der anderen Unendlichkeit wäre – das verstehe wer will.
Ich bin da praktischer veranlagt und probierte es einfach mal aus: 1 und 2 und 3 und 4, vierstellig wird das 1234. Das ist natürlich keine Primzahl, wenn die letzte Ziffer gerade ist. Also rasch einen kleinen Zahlendreher eingefügt: 1243. Sieh mal an! Durch 2 schon mal nicht teilbar, also auch nicht durch 4, 6, 8 oder 10. Die Quersumme 10 ist nicht durch 3 teilbar, damit fällt also auch die 9 als Divisor raus. Dass die 5 nicht passt, sehen wahrscheinlich schon Förderkinder aus der KiTa. Bleibt mal wieder die verflixte 7, selbst die einzige Primzahl unter den einstelligen Zahlen. Da muss ich ein bisschen Kopfrechnen und aufpassen, dass ich nicht stolpere oder ausrutsche auf dem überfrorenen Feldweg. Dann steht fest: Auch da bleibt ein Rest. Tatsächlich also – 1243 ist eine Primzahl, und eine ziemlich große noch dazu. Der Stolz beflügelte meine Schritte…
Ob es noch größere gibt? Sicher (siehe oben). Aber die Lust am abstrakten Denken war mir nach dieser ungewohnten Anstrengung vergangen. Wozu gibt es schließlich die Community da draußen? Also, Freunde – werft mir Primzahlen zu! Je größer, je besser...

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Freitag, 25. Oktober 2013
Persönliche Betroffenheiten
Nein, das betrifft nicht mich in diesem Falle. Eher uns. Alle. Ich - meine Freunde wissen das - habe nämlich gar kein Handy... na gut, stimmt nicht ganz, doch ich verrate es keinem, und ich nutze es nur in Notfällen, die zum Glück selten sind. Aber unsere Kanzlerin, die hat ein Handy, das sie auch benutzt, wie uns die Medien zeigen. Und vor allem beweist es die Aufregung, die es nun gibt, da bekannt wurde, dass die NSA offenbar ausgerechnet dieses Handy im Visier ihres Lauschangriffs hatte. In den Wochen zuvor, als es nur um die Deutschen und ihre Handys im Allgemeinen ging, blieben die Regierung und ihre Chefin auffallend zurückhaltend gegenüber den US-amerikanischen Freunden. Nun ist die Aufregung groß: Ausgerechnet die Kanzlerin!!! Jetzt muss aber was passieren! Die persönliche Betroffenheit ermöglicht mitunter eben doch ungeahnte Einsichten und Konsequenzen...
Da empfehle ich einfach mal, unserer Kanzlerin für die kommenden Monate nur den üblichen Hartz-IV-Satz aufs Konto zu überweisen. Mal sehen, ob sie dann begreift, was in dieser Gesellschaft an sozialer Ungerechtigkeit passiert. Man darf die Hoffnung ja nicht aufgeben, dass wir Menschen verstehen, was hier vor sich geht, wenn es uns nur selbst betrifft. Ganz direkt eben und unmittelbar. Wenn also "etwas erfahren" zugleich "eigene Erfahrung" bedeutet. Und dafür kann ich den geheimen Amis in diesem Falle nur herzlich danken!

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